Antibiotika-Resistenzen auf der Spur
Thomas Van Boeckel ist Branco-Weiss-Stipendiat der ETH Zürich. Er erforscht, wo weltweit Antibiotika-Missbrauch in der Tierzucht vorkommt und welche Massnahmen dagegen wirken.
Eigentlich würde man erwarten, dass einer, der Antibiotika-Resistenzen erforscht, in einem Stall anzutreffen ist, in Gummistiefeln, Schutzkleidung und mit Probengläschen in der Hand. Doch Thomas Van Boeckel betreibt keine Feldforschung, sein Forschungsraum ist ein Computer auf dem Tisch vor ihm, in einem schmucklosen und eher provisorisch wirkenden Büro am Institut für theoretische Biologie der ETH Zürich.
Der 33-jährige Epidemiologe hat sich erfolgreich für ein externe Seite Branco-Weiss-Stipendium beworben. Er ist einer von sechs, die im Spätsommer dieses Jahres die Zusage erhalten haben. Dieses mit einer halben Million Franken dotierte Stipendium hat er erhalten, um Antibiotika-Resistenzen in der Nutztierhaltung zu erforschen sowie Massnahmen auszuarbeiten, mit denen sich der Missbrauch von Antibiotika eindämmen lassen. «Meine Forschung ist nicht reine Grundlagenforschung, sondern es geht immer auch um Politik und die Auswirkungen auf die Gesellschaft – genau das will die Branco-Weiss-Stiftung ermöglichen.»
Wunderwaffe wird stumpf
Antibiotika gelten nach wie vor als Wunderwaffe gegen bakterielle Erkrankungen. Doch weil die Medikamente falsch oder im Übermass angewendet werden, werden Bakterien immer häufiger dagegen resistent. Bakterielle Erkrankungen bei Tieren und Menschen drohen deswegen ausser Kontrolle zu geraten – oder sind bereits nicht mehr kontrollierbar. Und nur sehr wenige neue Substanzen kommen pro Jahr auf den Markt.
«Meine Hauptmotivation, mich mit dem Thema zu beschäftigen, ist, dass der überwiegende Anteil der weltweit produzierten Antibiotika nicht dafür genutzt werden, um Infektionen bei Menschen zu behandeln, sondern an Nutztiere wie Schweine oder Hühner verfüttert werden», erklärt Van Boeckel. Bauern setzen die Substanzen ein, um ihre Tiere bei Infektionen zu behandeln oder – was problematisch ist – um das Wachstum und damit die Fleischproduktion zu beschleunigen. «Dadurch sparen Tierzüchter Geld, weil sie weniger für Futtermittel ausgeben müssen», gibt der Wissenschaftler zu bedenken.
Nun steigt aber die Nachfrage nach Fleisch, Geflügel und Eiern weltweit rasant an, vor allem in Schwellenländern, wo sich immer mehr Menschen Fleisch leisten können. Damit die Fleischproduzenten die Nachfrage decken können, ist dadurch auch der Antibiotikaverbrauch enorm gestiegen. Vor allem China hat mächtig aufgeholt und ist heute weltweit der grösste Antibiotika-Anwender.
Globale Resistenz-Karte erstellen
Im Rahmen seines Branco-Weiss-Stipendiums möchte Van Boeckel als erstes eine globale Karte der Antibiotika-Resistenzen erstellen. Damit will er sich ein Bild über das Ausmass des Problems machen.
Allerdings wird er nicht selbst auf Höfe und Mastbetriebe gehen, um Daten zu sammeln. Van Boeckel nutzt die Daten von hunderten lokalen Forschern und Tiermedizinerinnen, die in ihren jeweiligen Ländern einzelne Bauernhöfe aufsuchen, um Informationen über Antibiotika-Resistenzen zusammentragen. Auf diesen Daten basierend erstellt er mithilfe von Modellen eine globale Karte mit Auflösung von 10 mal 10 Kilometern. Diese Weltkarte soll Hotspots der Antibiotika-Resistenzen aufdecken.
«Das ist wichtig, um sich einen Überblick über das Problem zu verschaffen und Informationen zu bündeln, die den Entscheidern in Politik und Wirtschaft leicht zu kommunizieren sind. Wir finden so auch heraus, wo sich Resistenzen ausbilden», sagt der Wissenschaftler. Interesse an solchen Informationen dürften auch lokale Behörden haben, um gezielt intervenieren zu können.
Interventionen auf Wirksamkeit untersuchen
Auf Interventionen zielt er mit einem zweiten Arbeitspaket im Rahmen seines Stipendiums ab. Van Boeckel erforscht, welche davon den Antibiotika-Einsatz wirkungsvoll senken. Er denkt an Beratungs- und Betreuungsprogramme in Regionen, wo Antibiotika als Ersatz für gute Bedingunen in der Tierhaltung verwendet werden. Besonders interessiert ist der Forscher daran, wie eine Besteuerung von Antibiotika in der Tierzucht den Verbrauch senken könnten.
In einer «Science»-Publikation hat Van Boeckel vor einigen Monaten bereits über die Einführung einer weltweiten Antibiotika-Steuer von 50 Prozent auf aktuelle Antibiotika-Preise nachgedacht. Das Branco-Weiss-Fellowship erlaubt es ihm nun, die Details dieses Vorschlags auszuarbeiten.
In einigen Ländern sei es einfacher, Alternativen zu Antibiotika einzuführen. In anderen werde es schwieriger. «Es kommt eben sehr darauf an, wie stark sich Bauern auf Antibiotika als Teil der Fleischproduktion verlassen.» Halte man nur wenige Kühe auf einer hochgelegenen Alp in der Schweiz, sei das etwas komplett Anderes, als wenn man in einer Intensivhaltung hunderte Tiere im gleichen Stall halte. «Auch solche Details schaue ich mir vertieft an», erklärt er.
Gefragter Ansprechpartner für Politiker
Van Boeckels Erkenntnisse interessieren aber nicht nur Wissenschaftler. Bereits früher erhielt er Einladungen, im EU- und britischen Parlament zu sprechen. Auch mit Wirtschaftsvertretern tauscht er sich aus, wenn sich Gelegenheiten bieten. «Es ist als Wissenschaftler zwar einfacher, wenn man sich nicht zu sehr zu exponiert. Das Problem der Antibiotika-Resistenzen lösen wir jedoch nur, wenn wir unser Wissen in die Politik und in die Wirtschaft tragen», sagt Thomas Van Boeckel.
Der Belgier arbeitet seit drei Jahren an der ETH und kam eher zufällig hierher. Als Postdoktorand war er in Princeton tätig. Weil er jedoch unsicher war, ob sein Visum erneuert wird, um seinen Aufenthalt verlängern zu können, fragte er seinen Chef, wohin er als nächstes ausserhalb der USA hingehen könnte. Der Rat war, er solle sich an der Universität London oder an der ETH Zürich bewerben. «Weil ich gerne klettere, schickte ich deshalb die erste Bewerbung an die ETH. Und es hat geklappt: Professor Sebastian Bonhoeffer hat mich angestellt. Das ist grossartig!»
Vogelgrippe in Thailand erforscht
Ursprünglich stammt Van Boeckel aus Brüssel, spricht als Muttersprache französisch, obwohl sein Familienname flämisch ist. Wissenschaft habe ihn seit jeher angezogen. «Ich kann mich nicht erinnern, nicht an Wissenschaft interessiert gewesen zu sein», sagt er. «In Musik oder im Schreiben war ich so schlecht, dass mir immer klar war, dass ich Forscher werden musste», lacht er.
Geradlinig war sein Weg zum Antibiotika-Resistenzen-Forscher hingegen nicht. «Ich begann ein Biologiestudium, obwohl mich Theoretische Physik mehr reizte – und fiel nach dem ersten Jahr an der Uni durch.» Er liebäugelte mit einem Physikstudium, entschied sich dann aber für Biotechnologie an der Freien Universität Brüssel, unter anderem auch wegen besseren Jobaussichten.
Doch in die Wirtschaft zog es ihn nicht, Van Boeckel blieb in der akademischen Welt. Auf sein Studium folgte eine Doktorarbeit in Epidemiologie der Vogelgrippe. «Meine Eltern arbeiteten in öffentlichen Spitälern, sodass ich seit früher Kindheit mit Gesundheitsthemen konfrontiert war. Als ich mich dann für ein Doktorat entscheiden musste, war klar, dass es in eine medizinische Richtung geht und nicht tiefer in den Biotechbereich.»
Hartes Forscherleben
Nach erfolgreich absolviertem Doktorat folgten Postdoktorandenstellen in Princeton und nun an der ETH. Seine Zukunft sieht Thomas Van Boeckel weiterhin im akademischen Betrieb: «Ich möchte nicht aussteigen.» Er ist sich aber bewusst, dass akademische Laufbahnen brutal enden können, vor allem für Akademiker in seinem Alter. Man müsse wirklich hart arbeiten, um an der Spitze zu bleiben. Die Konkurrenz wachse rasch, unter anderem wegen der vielen talentierten Studierenden aus Indien und China. Und akademische Jobs schränken auch das Privatleben ein. Oft hätten Paare nicht am gleichen Ort oder gar im selben Land Stellen. Flexibilität sei gefragt, grosse sogar. Das ermüde. «Während der letzten Jahre war es manchmal sehr hart für mich.»
Gerne würde er an der ETH Zürich bleiben, nicht nur, weil ihm die Stadt gefällt, sondern weil er auch deren Vorzüge schätzen gelernt hat. Einer davon sei die Kleinräumigkeit. In zwanzig Minuten könne er von seinem Arbeitsort mit dem Tram am Flughafen sein, in einer Stunde von seinem Wohnort aus mit dem Zug in den Bergen, wo er sein Hobby, das Klettern, ausleben könne. «Wo sonst gibt es das in der Welt?», fragt er.
Literaturhinweis
Van Boeckel T, et al. Reducing antimicrobial use in food animals. Science 29 Sep 2017: Vol. 357, Issue 6358, pp. 1350-1352. DOI: externe Seite 10.1126/science.aao1495