Eine Frage der Perspektive
Bei der Umsetzung des Pariser Klimavertrags dominiert die langfristige Sicht auf den Klimawandel, sagt Lukas Fesenfeld. Das verbaut eine Chance.
Heute beginnt die 24. UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice, wo die konkrete Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, das sogenannte «Rulebook», verhandelt wird. Interessant ist die Rolle der USA, die – trotz ihres angekündigten Austritts aus dem Pariser Abkommen – mitunter gar als Vorreiterin gilt. Schliesslich sind in den letzten Jahren die CO2-Emissionen in den USA so stark gesunken wie in keinem anderen G20-Staat – nicht zuletzt, weil nun deutlich mehr Elektrizität aus Schiefergas erzeugt wird.
Doch je nach Sichtweise trübt sich das Bild, denn die Schiefergasgewinnung erhöht den Ausstoss von Methan (CH4) – einem kurzfristig besonders klimaschädlichen Treibhausgas. Es gibt in diesem Fall also einen Zielkonflikt zwischen langlebigem CO2 und kurzlebigem CH4.
Klimaexperten argumentieren, dass vor allem für die Vermeidung von gefährlichen Klima-Kipppunkten und Extremwetterereignissen in den kommenden Jahren neben CO2 verstärkt auch kurzlebige Klimaschadstoffe wie CH4 und Russ reduziert werden müssen. Das ist auch für die UN-Nachhaltigkeitsziele wichtig, etwa um Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung zu vermeiden.
Die kurzfristige Sicht auf den Klimaschutz
Wenn in Katowice also das Regelwerk des Pariser Abkommens verhandelt wird, dann sollten die Staaten auch zwischen der kurz- und der langfristigen Perspektive abwägen. Ein verstecktes Problem liegt bei der Wahl der Metrik für die scheinbar rein sachliche Umrechnung verschiedener Klimaschadstoffe in vergleichbare Grössen, dem Treibhauspotenzial oder CO2-Äquivalent (Englisch: Global warming potential, GWP). Diese Metrik für den relativen Beitrag zum Treibhauseffekt ist nämlich nicht rein wissenschaftlich, sondern politisch begründet.1
Traditionell wird der Erwärmungseffekt der verschiedenen Schadstoffe über ein Zeitfenster von 100 Jahren verglichen (GWP100). Dies ist bis dato auch bei den nationalen Klimaschutzzielen unter dem Paris-Abkommen der Fall. Würde man neben der langfristigen auch eine kurzfristige (z.B. GWP20) Klimaschutzperspektive betrachten, dann hätte dies erhebliche Folgen: Denn je nach Zeithorizont kann das GWP für verschiedene Klimagase variieren (für ein Beispiel siehe2), so dass sich die weltweiten Emissionen absolut sowie in ihrer relativen Zusammensetzung unterscheiden.
Fokus auf Methan und Russ
In einem kürzlich erschienenen Kommentar in Nature Climate Change3 haben wir die globalen Emissionen der verschiedenen Klimaschadstoffe aus kurz- und langfristiger Sicht miteinander verglichen. Die Emissionen aus GWP20-Sicht steigen im Vergleich zu einer GWP100-Perspektive über alle Sektoren hinweg um rund 53 Prozent auf 88,9 Gigatonnen CO2-Äquivalente an.
«In Ländern mit grossem Energie- und Agrarsektor besteht Potenzial, kurzlebige Klimaschadstoffe oft kostengünstig zu reduzieren.»Lukas Fesenfeld
Vor allem Methan und Russpartikel tragen zu diesem markanten Anstieg in der GWP20-Perspektive bei. Besonders stark rücken Methanemissionen aus der Landwirtschaft und Tierhaltung in den Fokus. Zudem tragen Methan und Russpartikel aus der fossilen Energiegewinnung sowie aus dem Verkehr kurzfristig stark zur Klimaerwärmung bei. Besonders in Ländern mit einem grossen Energie- und Agrarsektor besteht deshalb ein grosses Potenzial, kurzlebige Klimaschadstoffe (oft kostengünstig) zu reduzieren.
Eine Chance für das Pariser «Rulebook»
In den Verhandlungen zum Pariser Abkommen scheint die langfristige (100-Jahre) Perspektive zu dominieren. Aus unserer Sicht wird eine Chance vertan, wenn die kurzfristige Sicht vernachlässigt bleibt und Zielkonflikte nicht auf den Tisch kommen. Teils können kurzlebige Klimaschadstoffe nämlich einfacher reduziert werden als CO2. Konkret schlagen wir für das Paris «Rulebook» Folgendes vor:
- Erstens, neben langfristigen sollten auch kurzfristig wirkende Klimaschadstoffe explizit in die nationalen Zielvereinbarungen eingehen.
- Zweitens, beim Handel mit Emissionsrechten unter Artikel 6 des Abkommens (besonders forciert von der Schweiz) sollte das Minderungspotenzial von kurzlebigen Klimaschadstoffen stärker berücksichtigt werden.
- Drittens, internationale Organisationen und ambitionierte «Staaten-Clubs» können die Reduktion kurzlebiger Klimaschadstoffe vorantreiben, zum Beispiel indem sie technologische Innovationen fördern.
Wir halten fest: Die Wahl einer lang- oder kurzfristigen Klimaschutzperspektive ist alles andere als rein wissenschaftlich, sondern zutiefst politisch. Anstatt diese Debatte hinter technischen, scheinbar sachlichen Umrechnungsfaktoren «zu verstecken», sollten wir die Diskussion offen führen.
Würde sich die Welt nicht einseitig auf die langfristige Klimaschutzperspektive festlegen, könnte das auch helfen, die psychologische Distanz und subjektive Unbetroffenheit zu vermindern – beides zählt heute zu den grössten Hürden für einen effektiven Klimaschutz.
Lukas Fesenfeld hat diesen Beitrag mit Tobias Schmidt verfasst.
Weiterführende Informationen
1 siehe Kapitel 8 im 5. IPCC Assessment Report
2 GWP-Werte am Beispiel Methan: Das GWP von CH4 beträgt bei einem Zeithorizont von 100 Jahren 34 CO2-Äquivalente. Das heisst: CH4 ist im Zeitraum von 100 Jahren 34-mal so klimaschädlich wie CO2. Bei einem Zeithorizont von 20 Jahren beträgt das GWP von CH4 jedoch 86. Kurzfristig betrachtet trägt CH4 also 86-mal stärker zum Treibhauseffekt bei als CO2. Ein Grund dafür ist die kurze Verweildauer von CH4 in der Atmosphäre von lediglich 12 Jahren.
3 Fesenfeld L, Schmidt T, Schrode A (2018). externe Seite Climate policy for short- and long-lived pollutants. Nature Climate Change. Volume 8.