«Wir müssen genau hinschauen und angemessen handeln»
Die ETH Zürich hat heute den Abschluss der Disziplinaruntersuchung im Fall eines Architekturprofessors kommuniziert. ETH-Präsident Joël Mesot nimmt Stellung dazu und erklärt, welche Lehren die ETH daraus zieht.
ETH-News: Joël Mesot, die Kommunikation rund um den Abschluss der Disziplinaruntersuchung ist ausgesprochen knapp ausgefallen. Warum?
Joël Mesot: Ich kann gut verstehen, dass die Öffentlichkeit mehr Details erfahren möchte. Doch diesem Wunsch können wir aus rechtlichen Gründen nicht nachkommen. Die Disziplinaruntersuchung ist ein personalrechtliches Verfahren, das sich gegen eine einzelne Person richtet und dessen Abschlussbericht nicht veröffentlicht wird. Es gehört zudem zu unserer Sorgfaltspflicht, nicht nur die meldenden Personen, sondern auch die beschuldigte Person zu schützen.
Die Untersuchung entlastet den Professor zwar vom Vorwurf sexueller Belästigung, kommt aber zum Schluss, dass der Professor es versäumt hat, seine persönlichen und beruflichen Beziehungen adäquat zu trennen, weshalb sein Verhalten nicht im Einklang mit dem Compliance Guide der ETH Zürich sei. Von welchen Verhaltensweisen sprechen wir?
Wie gesagt, aus rechtlichen Gründen kann ich mich über den Untersuchungsbericht nicht weiter äussern. Aber als Professor muss man Vorbild sein. Und Vorbild sein heisst für mich auch, die persönlichen und beruflichen Beziehungen adäquat zu trennen. Ich erwarte von allen ETH-Angehörigen, dass sie sich in diesem Bereich besonders sensibel verhalten. Unkorrektes Verhalten toleriere ich nicht. Dabei geht es mir nicht nur darum, ob etwas in den Richtlinien oder im Gesetz festgehalten ist, sondern um die Frage, ob ein Verhalten von der jeweils anderen Person erwünscht oder eben nicht erwünscht ist.
Trotzdem, mit dem Rücktritt des Professors und dem Ende des Verfahrens verpasst die ETH doch die Chance, den Fall lückenlos aufzuklären und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen?
Die Untersuchung wurde abgeschlossen, der Fall vollständig aufgeklärt, der Bericht liegt mir und der Schulleitung vor. Auch wenn der Professor die ETH Zürich verlässt, werden wir aus diesem Fall Lehren für die Zukunft ziehen.*
Und wie sehen diese aus?
Es ist noch zu früh, bereits ins Detail zu gehen. Wir werden die entsprechenden Diskussionen in der Schulleitung erst noch führen. Für mich ist jedoch klar: Alle Angehörigen der ETH Zürich – insbesondere Vorgesetzte und Professoren – müssen unsere Compliance-Richtlinien einhalten. Diese Regeln bilden die Basis für eine respektvolle und damit auch erfolgreiche Zusammenarbeit. Es hat sich gezeigt, dass wir diese Richtlinien innerhalb der ETH noch besser verankern müssen. Ein Mittel dazu sehe ich in obligatorischer Führungs- und Personalentwicklung für Professorinnen und Professoren. Zudem müssen wir genau hinschauen und angemessen handeln, wenn Angehörige der ETH Zürich gegen unsere Compliance-Richtlinien verstossen. Verstösse müssen Konsequenzen haben. Ein zweites Learning ist für mich, dass wir unsere Prozesse, wie wir an der ETH mit Meldungen zu unkorrektem Verhalten umgehen, verbessern müssen. Ein erster Schritt dazu war im letzten Jahr die Aufstockung der Ombudsstelle von zwei auf drei Personen. Wir sollten aber auch ganz neue Ansätze diskutieren. Zum Beispiel, ob wir eine externe, unabhängige Meldestelle für sexuelle Belästigung einrichten wollen, wie es auch schon andere Institutionen gemacht haben.
Das hört sich an, als lief bisher einiges nicht gut?
Ich möchte betonen, dass wir von wenigen Einzelfällen sprechen. Bei uns arbeiten jeden Tag mehrere Tausend Menschen zusammen und davon verhält sich die ganz grosse Mehrheit völlig korrekt und vorbildlich. Sonst wären wir ja nicht so erfolgreich. Aber selbstverständlich ist jeder Fall von unkorrektem Verhalten einer zu viel und muss für uns Anlass sein, die bestehenden Prozesse und Regeln zu überdenken und zu verbessern. Ich bin überzeugt, eine moderne Hochschule, die sich mit der Weltspitze misst, muss auch in diesem Bereich sehr professionell sein und sich laufend weiterentwickeln.
Und im Moment, was raten Sie Angehörigen der ETH, wenn sie respektloses Verhalten erleben?
Sie sollen aktiv werden und zwar so früh wie möglich. Nur wenn wir davon erfahren, können wir die einzelnen Situationen anpacken, sie analysieren und unsere Lehren daraus ziehen. Am besten informieren sie sich auf unserer Webseite der Respekt-Kampagne. Dort finden sie Hinweise, wie sie sich in solchen Fällen am besten verhalten und an wen sie sich wenden können.
*Diese Passage wurde nach der Publikation des Interviews angepasst.