Mit der Informatik die Welt entdecken
Informatik in der Schule kann sehr kreativ sein. Am zehnten Schweizer Tag für den Informatikunterricht vermittelte die ETH Zürich Lehrkräften aus allen Schulstufen neue Ansätze des Informatikunterrichts. Ausserdem ehrte die Rektorin Schulen und Lehrpersonen, die sich für einen lebendigen Unterricht einsetzen.
Informatik ist viel mehr als das blosse Bedienen eines Computers. Sie ist eine bestimmte Denk- und Herangehensweise, wie man die Welt beschreiben, verstehen und Probleme lösen kann, sagt Juraj Hromkovic, ETH-Professor für Informationstechnologie und Ausbildung. Typisch für diese Denkweise ist, dass man die Information über die Welt digital anhand von Symbolen darstellt und Aufgaben mittels Folgen von Rechenregeln, den so genannten Algorithmen, löst.
Algorithmen sind dabei so etwas wie die Schlüssel, die Türen zur Welt öffnen. «Wenn unsere Kinder verstehen, wie sie funktionieren, werden sie die vom Menschen geschaffene technische Welt besser verstehen und später selber mitgestalten können», sagt Juraj Hromkovic.
Seit Jahren engagiert er sich für einen Informatikunterricht in den Volks- und Mittelschulen, der Schülerinnen und Schüler zu einem algorithmischen Denken befähigt. Entscheidend für die Unterrichtsmethode, die Hromkovic entwickelt, ist, dass Schülerinnen und Schüler ihre Aufgaben durch Ausprobieren und Experimentieren lösen und ihre selbst entdeckten Lösungswege in Programme übersetzen können.
Kreativität entfalten mit Informatik
Ein solcher Informatikunterricht verfolgt das Ziel, dass Schülerinnen und Schüler Aufgaben mit Algorithmen und Programmierung lösen können, und dass sie verstehen, wie Datenverwaltung und Informationsverarbeitung funktionieren. Das unterscheidet Hromkovics Ansatz von einem Informatikunterricht, der vor allem kurzlebiges Wissen vermittelt, wie man einen Computer bedient oder Programme und Softwarepakete anwendet.
«Es macht wenig Sinn, wenn die Schülerinnen und Schüler zu viel Zeit darauf verwenden, das Zehnfingersystem an der Tastatur zu lernen, wenn dieses vielleicht schon bald durch die Spracherkennung ersetzt wird.»
In der Praxis unterstützen Hromkovic und das von ihm geleitete Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht der ETH Zürich (ABZ) die Schulen und Lehrkräfte im Informatikunterricht. Eine Gelegenheit, sich mit neusten Lehrmitteln vertraut zu machen, ist der Schweizer Tag für den Informatikunterricht (STIU), der heute zum zehnten Mal an der ETH rund um das Thema «Kreativität entfalten mit Informatik» stattfindet. Dabei gibt es 17 Workshops, zum Beispiel ein Rollenspiel zur Kryptologie oder einen Workshop, wie man Roboter sinnvoll im Informatikunterricht einsetzen kann.
In diesem Rahmen hat ETH-Rektorin Sarah Springman heute die diesjährigen Preise der ETH Zürich für besondere Beiträge zu einem innovativen Unterricht in den MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) vergeben. Die ETH Zürich ehrt mit dem MINT-Preis Schulen, die sich besonders engagieren, den MINT-Unterricht zu optimieren. Die Preisträgerinnen und Preisträger erhalten Kunstwerke, die ausgestellt zur Popularisierung der Wissenschaft dienen.
Impressionen
Mit den Augen der Entdecker
Ausgezeichnet worden ist Armin Barth. Er lehrt seit 30 Jahren Mathematik auf Gymnasialstufe sowie als Dozent für Mathematik Fachdidaktik an der ETH und entwickelt für das MINT-Lernzentrum der ETH Zürich Lehrmittel für den Mathematikunterricht. «Armin Barth betrachtet die Welt durch die Augen eines Entdeckers und nutzt die Mathematik, um sie zu verstehen», erklärt Juraj Hromkovic in seiner Laudatio. Mit seinem lebendigen Verständnis von Mathematik und Informatik schaffe er es, seine Schülerinnen und Schüler zu begeistern.
Armin Barth schreibt zurzeit an einem neuen Lehrbuch. Er legt viel Wert auf Konzeptverständnis. Wer ein Konzept wirklich versteht, kann auch kreativer neue Aufgaben lösen, als wer nur die sprachliche Bezeichnung des Konzepts oder ein gelerntes Fallbeispiel kennt. «Wenn Schülerinnen und Schüler das Konzept verstehen, sind sie auch im Rechnen besser», sagt er. Wichtig sei, dass Lehrpersonen das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler abholen und sie dazu bewegen, sich aktiv mit neuen Lerninhalten auseinanderzusetzen.
«Während man früher ein neues Thema häufig zuerst durch eine Instruktion vermittelte und danach in einer Übungsphase üben liess, plädieren wir heute sehr dafür, der Instruktion eine kognitiv aktivierende Erkundungsphase voranzustellen, in der die Schülerinnen und Schüler Motivation gewinnen, die Grenzen ihres Wissens erfahren und im besten Fall neues Wissen selber konstruieren können.»
Oder wie Juraj Hromkovic es nennt: Sie sollen den Weg des Entdeckers gehen. Das bewirke, dass sie kompetent über Mathematik sprechen, die Konzepte erklären und die Fachbegriffe richtig anwenden, sagt Armin Barth. «Das erhöht die Freude an Mathematik und Informatik.»
Eine Sprache, um Aufgaben zu lösen
«Tatsächlich hat sich das Verständnis, wie man Informatik unterrichtet, in den letzten Jahren stark verändert», sagt Gian-Paolo Curcio, der Rektor der Pädagogischen Hochschule Graubünden in Chur, die in diesem Jahr ebenfalls mit dem MINT-Preis prämiert wird. «Vor 30 Jahren spielte sich der Informatikunterricht noch in einem eigens dafür vorgesehenen Computerraum, ähnlich dem Sprachlabor, ab», erinnert er sich. Im Frontalunterricht wurde damals zum Beispiel an der gemeinsamen Erstellung von Exceltabellen gearbeitet.
«Das moderne Verständnis von Informatikunterricht hingegen fokussiert auf die Förderung von algorithmischem Denken», erklärt Curcio weiter, «diesem Verständnis entsprechend wird Informatik als ‹Sprache› verstanden, die Schülerinnen und Schüler lernen, um Probleme oder Aufgabenstellungen zu lösen.»
Die PH Graubünden bildet Lehrpersonen für den Informatikunterricht aus und hat mit der ETH-Rektorin einen Vertrag zur Ausbildung von rund 3000 Lehrpersonen der obligatorischen Schule abgeschlossen. Ausserdem organisiert sie zusammen mit der ETH Zürich und der Gemeinde Flims die «i-CAMPS»: diese ausserschulische Projektwoche wird jeweils mit Primarschülerinnen und Primarschülern durchgeführt. Die Erkenntnisse fliessen in den Unterricht an den Volksschulen sowie in die Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der PH Graubünden ein.
Ebenfalls ausgezeichnet werden sieben Kreuzlinger Schulen, die sich im Rahmen der Schweizer MINT-Studie seit 2011 engagiert dafür einsetzen, das Verständnis mathematisch-naturwissenschaftlicher Inhalte mit kognitiv aktivierenden, also besonders anregenden Lernformen frühzeitig zu fördern.
Das Besondere ist, dass vom Kindergarten bis zur Kantonsschule alle Kreuzlinger Schulstufen an dem Projekt teilnehmen. So kann man untersuchen, wie sich ein früher Unterricht im Kindergarten und in der Primarschule zu Themen der Informatik beziehungsweise der Physik langfristig auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler auswirkt und sie besser auf neue Anforderungen vorbereitet.