Mikroelektronik erhellt neuronales Verhalten

Forschende der ETH Zürich haben – in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der EPF Lausanne und der Harvard Medical School – ein System entwickelt, mit dem sich einzelne Nervenstränge in lebenden Mäusen optisch stimulieren lassen. Und damit gezeigt, dass das Nervensystem direkt auf das Immunsystem einwirkt.

Vergrösserte Ansicht: Die integrierte Schaltung (Chip) misst nur 2,2 Millimeter auf 1,1Millimeter und ermöglicht unter anderem Erkenntnisse über Schmerz und Entzündungen. (Bild: Institut für Integrierte Systeme)
Die integrierte Schaltung (Chip) misst nur 2,2 Millimeter auf 1,1Millimeter und ermöglicht unter anderem Erkenntnisse über Schmerz und Entzündungen. (Bild: Institut für Integrierte Systeme)

In den letzten zehn Jahren hat eine neue Methode buchstäblich mehr Licht ins Gehirn gebracht: Mit der so genannten Optogenetik lassen sich gentechnisch veränderte Nervenzellen gezielt erregen und ihre Funktionen im komplexen Netzwerk im Inneren des Schädels eingehend untersuchen. Die Technik stellt eine neurowissenschaftliche Revolution dar, doch bisher konnte sie nur für das Studium des zentralen Nervensystems genutzt werden. Das periphere Nervensystem blieb aussen vor.

Miniaturisierung dank Chip-Technologie

Nun hat ein Team von Elektrotechnikern um Qiuting Huang, Professor am Institut für Integrierte Systeme an der ETH Zürich, gemeinsam mit Forschenden der EPF Lausanne und der Harvard Medical School ein System entworfen, das implantierbare Leuchtdioden (LED) mit einem winzigen, auf dem Kopf getragenen Gerät verbindet, das wiederum via Bluetooth von einem Tablet aus gesteuert werden kann. Damit haben sie sehr präzise einzelne Nervenstränge im Körper von sich frei bewegenden Mäusen stimuliert, wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology berichten.

«Unser Ziel war, eine möglichst kleine integrierte Plattform zu entwickeln. Der Chip, die Batterie und die Antenne für die drahtlose Signalübertragung wiegen zusammen nur etwas mehr als ein Gramm – und sind kleiner als ein Kubikzentimeter», sagt Huang. Während die Chip-Technologie hohe Integrationsdichten für elektronische Schaltungen ermöglicht, stösst die Miniaturisierung vor allem bei den Batterien auf Grenzen: je kleiner das Volumen, desto grösser die Energiedichte. Damit steigt auch das Risiko, dass die Batterie Feuer fängt. «Deshalb setzen wir auf Komponenten, die möglichst wenig Energie verbrauchen», sagt Huang.

Ursprünglich hätten sie ihre Plattform für ein Projekt zur Messung von Sauerstoffsättigung und Blutdruck entworfen, doch schon zu Beginn hätten sie beim Design des Chips auf eine möglichst breite Anwendbarkeit geachtet. «Weil unser System programmierbar ist, konnten wir die elektronischen Schaltungen, die wir damals für die Berechnung der Sauerstoffsättigung des Bluts vorgesehen hatten, zur Steuerung der implantierten Leuchtdioden umfunktionieren», sagt Philipp Schönle. Er war für seine Doktorarbeit in Huangs Gruppe massgeblich an der Entwicklung der neuen Neurotechnologie beteiligt.

Wie füreinander geschaffen

Vergrösserte Ansicht: Das kleine LED Ansteuer-Gerät (oben links) und die LED Implantate (unten rechts) bilden zusammen die neue Neurotechnologie-Plattform. Oben rechts: Bestückte Schaltung vor der Montage von Batterie und Verpackung in Silikon.
Das kleine LED Ansteuer-Gerät (oben links) und die LED Implantate (unten rechts) bilden die neue Neurotechnologie-Plattform. Oben rechts: Bestückte Schaltung vor der Montage von Batterie und Verpackung in Silikon.

Die externe SeiteZusammenarbeit mit der Gruppe von Stéphanie Lacour an der EPF Lausanne währt schon mehr als fünf Jahre. «Unsere ausgeklügelte Elektronik und ihre weichen bioelektronischen Sensoren sind wie füreinander geschaffen», meint Huang. Die Fortschritte in den Materialwissenschaften und in der Elektrotechnik bauen aufeinander auf – und greifen ineinander über. «Gemeinsam haben wir einen Ansatz entwickelt, der es erlaubt, einen beliebigen Nervenstrang im Körper der Maus an genau bestimmten Zeitpunkten in Erregung zu versetzen», sagt Schönle.

An der Harvard Medical School in Boston hat die Forschungsgruppe von Clifford Woolf die Implantate um den Ischiasnerv gewickelt. Ohne den Nerv zu schädigen, konnten sie über mehrere Tage hinweg wiederholt mit blauen Lichtblitzen spezifische Nervenzellen aktivieren, die als so genannte Nozizeptoren auf die Weiterleitung von Schmerzsignalen spezialisiert sind. Überrascht stellten die Forschenden fest, dass die wiederholte optische Stimulation dieser Nozizeptoren eine leichte Rötung in der Hinterpfote der Maus erzeugt hatte, ein deutliches Zeichen für eine Entzündung.

Bisher war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass Schmerz und Entzündung zwei unterschiedliche Prozesse sind, die unabhängig voneinander entstehen. «Doch nun haben wir eindeutig nachweisen können, dass die für die Schmerzempfindung verantwortlichen Neuronen auch eine entzündliche Immunantwort hervorrufen können», sagt Woolf. Die Resultate hätten deshalb das Potential, neuen Ansätzen etwa zur Behandlung von chronischen Schmerzen oder anhaltenden Entzündungen den Weg zu weisen, halten die Forschenden in ihrem Fachbeitrag fest.

Der Wert der Elektronik für die Gesundheit

In Zukunft dürfte die Elektrotechnik einen immer grösseren Beitrag an die Gesundheit der Menschen leisten, meint Huang. In Fachkreisen mache schon das Wort «electroceuticals» die Runde, die Kombination von Elektronik und Pharmazeutika. Doch heute, wo grosse Teile der Menschheit über hochkomplexe, aber dennoch günstige Smartphones verfügten, gehe dabei leider zu oft vergessen, dass Fortschritte in der Elektrotechnik nur mit sehr grossem Aufwand zu erzielen sind. «Dieser mühevollen und sorgfältigen Entwicklungsarbeit wird häufig zu wenig Wertschätzung entgegengebracht», sagt Huang.

Literaturhinweis

Michoud F, Seehus C, Schönle P, Brun N, Taub D, Zhang Z, Jain A, FurfaroI, Akouissi O, Moon R, Meier P, Galan K, Doyle B, Tetreault M, Talbot S, Browne LE, Huang Q, Woolf CJ, Lacour SP. Epineural optogenetic activation of nociceptors initiates and amplifies inflammation. Nature Biotechnology (2020). doi: externe Seite10.1038/s41587-020-0673-2.

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