Ingenieur als Erfolgsberuf
Mit Ideen die Welt verändern, das ist es, was Martin Bosshardt als Ingenieur fasziniert. Dabei greift er immer wieder auf das zurück, was er an der ETH gelernt hat – und das in völlig verschiedenen Branchen.
Noch heute leuchten seine Augen, wenn sich Martin Bosshardt an diese Zeit zurückerinnert: Während seiner Diplomarbeit in Japan arbeitete er als ETH-Student in einem Team mit, das sich vorgenommen hatte, ein Atom-Mikroskop zu bauen. «Ein Gerät zu bauen, mit dem man einzelne Atome sichtbar machen kann, das war damals erstmals überhaupt möglich geworden und visionär», blickt er zurück. Das Team war dabei auf allen Ebenen gefordert. Neben der Hardware, für die es viel Wissen in Physik und Elektrotechnik brauchte, benötigten die Entwickler auch ausgeklügelte Software, um die Maschine zu steuern und die Daten auszuwerten. Während der Nacht nutzte das Team jeweils einen Grossrechner an der ETH, um die Ergebnisse zu visualisieren. Als dann das erste Atom auf dem Bild zu sehen war, sei das ein magischer Moment gewesen: «Das war für uns wie eine Mondlandung», sagt Bosshardt euphorisch.
Auch später gab es solche speziellen Momente in seiner Karriere. So etwa als er als junger Ingenieur kurz nach Studienabschluss für die Firma ABB ein Grosskraftwert in Malaysia in Betrieb nahm. «3500 Menschen haben mit ganz unterschiedlichen Aufgaben auf der Baustelle gearbeitet, keiner verstand diese gewaltige Maschine letztlich vollständig. Trotzdem schafften wir es, sie auf den Tag genau planmässig in Betrieb zu nehmen.» Als die Ingenieure in der Zentrale in Baden optimierte Steuerdaten schickten und so die Leistung des Kraftwerks über Nacht um satte sieben Megawatt steigerten, wurde Bosshardt schlagartig bewusst, wie mächtig Software und Netzwerke sein können.
Eine jähe Zäsur
Dies war mit ein Grund, warum er vom Grosskonzern ABB zur Internetagentur Futurecom wechselte. Am neuen Ort erlebte er den ersten grossen Boom des Internet-Zeitalters. «Innerhalb von vier Jahren konnten wir die Belegschaft von 20 auf 120 Mitarbeitende vergrössern.» Doch das Platzen der Dotcom-Blase brachte eine jähe Zäsur. «Viele Firmen gingen damals Pleite, doch wir gingen gestärkt aus der Krise hervor», erklärt Bosshardt mit Stolz. Dazu brauchte es jedoch ein Umdenken auf allen Ebenen. Liefern alleine reichte nicht mehr. «Wir mussten lernen, wie man Business-Cases findet und Produkte verkauft.»
Auch Open Systems, die Firma von Bosshardts Studienkollege Florian Gutzwiler, wurde von der Krise stark getroffen. Dieser holte Bosshardt als neuen CEO, um das Unternehmen durch die turbulente Zeit zu führen. Open Systems entwickelte damals Internetportale für Banken. Doch mit der Krise fiel dieses Geschäftsmodell in sich zusammen. Das Unternehmen musste sich neu ausrichten: weg von den Portalen für Banken hin zu sicheren Netzwerken für Industrieunternehmen. Heute bietet es eine leistungsfähige Netzwerklösung an, die es Firmen erlaubt, dezentral an verschiedenen Standorten zu produzieren. 3,5 Millionen Enduser nutzen inzwischen das Angebot.
Ein zentrales Element dabei ist der sichere Datenaustausch. Es liegt daher auf der Hand, dass Open Systems das «Zurich Information Security and Privacy Center» (ZISC) der ETH Zürich als Partner finanziell unterstützt. «Die ETH ist für uns ein eminent wichtiger Partner – und zwar nicht nur als Rekrutierungsstätte», stellt Bosshardt fest. «Auch der fachliche Austausch mit den ETH-Informatikern ist wichtig, denn so erfahren wir, wohin sich die Technologie in den nächsten Jahren entwickeln könnte.»
«Wenn ich in den Bergen bin, fernab der Zivilisation, und in der Nacht den klaren Sternenhimmel sehe, kann ich wieder herunterfahren und mich mit der Natur verbinden»Martin Bosshardt, Ingenieur und CEO
Leidenschaft für Technik
Bosshardt begeisterte sich schon früh für Technik. Als Mittelschüler liebte er es, Elektrogeräte auseinander zu nehmen und wieder zusammenzusetzen. Seinen Entscheid, Elektrotechnik zu studieren, habe er nie bereut: «Ich habe an der ETH eine tolle Ausbildung bekommen», meint er heute. «Als Student hatte ich zwar oft den Eindruck, ich müsse vieles lernen, das ich später nie mehr brauchen würde. Und vermutlich denken das die heutigen Studierenden immer noch. Aber im Berufsalltag habe ich gemerkt, dass das eine Fehleinschätzung war.» An der ETH lerne man vor allem, Sachen grundsätzlich zu betrachten. «Man bekommt die Prinzipien vermittelt, wie man Probleme systematisch analysiert und pragmatische Lösungen findet.» Dank dieser Grundlage habe er den Berufseinstieg bei ABB schnell geschafft. Auch heute sieht Bosshardt bei ETH-Abgängerinnen und -Abgängern immer wieder, dass sie sich sehr schnell in ihrem neuen Aufgabenfeld zurechtfinden.
Bosshardt ist mit Leib und Seele Ingenieur und findet es bemerkenswert, wie viele erfolgreiche Firmen von Ingenieuren geführt werden – «obwohl das Ingenieurstudium ja keine eigentliche Managementausbildung ist». Aus seiner Sicht wäre es wichtig, der Öffentlichkeit nicht nur zu vermitteln, wie viele tolle Technologien an der ETH entwickelt werden. «Es ist faszinierend, wie viele ETH-Abgängerinnen und -Abgänger mit ihrem Wissen die Welt positiv verändern.»
Den Wandel antizipieren
Seit kurzem tritt Bosshardt bei Open Systems etwas kürzer und gehört nun dem Verwaltungsrat an. Dafür bringt er als VR-Präsident sein Wissen und seinen Elan bei der Firma Westhive ein, die kollaborative Arbeitsplätze anbietet. «Das Bedürfnis nach flexiblen Bürolösungen nimmt zu», ist er überzeugt. Doch Flexibilität alleine reicht nicht. Bei Open Systems hat Bosshardt erfahren, dass sich die Mitarbeitenden am Arbeitsplatz wohl fühlen müssen, damit sie eine gute Leistung erbringen können. Neben einer sinnstiftenden Tätigkeit und einer offenen Kommunikation auf Augenhöhe braucht es dazu auch Räume, in denen man gerne arbeitet. «Räume haben eine grosse Wirkung auf uns Menschen», ist Bosshardt überzeugt und veranschaulicht das mit einem Bonmot: «In kleinen Räumen lässt sich nicht gross denken.»
Westhive wächst im Moment sehr stark und plant neue Standorte in weiteren Städten. Die bisherige Nachfrage scheint Bosshardt recht zu geben: Nicht nur kleine Start-up-Firmen und Alleinunternehmer nutzen das Angebot, sondern auch grössere Firmen, die beispielsweise in der City ihre Entwicklungsteams an einem inspirierenden Ort stationieren wollen oder einen zusätzlichen Standort benötigen, um näher bei den Kunden zu sein. «Die Arbeitswelt wird sich stark verändern», meint Bosshardt zum gegenwärtigen Boom solcher Angebote. «Die Corona-Krise zeigt, dass man heute ohne Probleme an unterschiedlichen Orten zusammenarbeiten kann. Gleichzeitig wird uns bewusst, wie wichtig der direkte physische Austausch in einer anregenden Umgebung ist.» Und nicht zuletzt würden immer mehr Unternehmen merken, dass sie mit flexiblen Lösungen Kosten sparen können.
Obwohl das Anbieten von Co-Workingspaces und das Bereitstellen von sicheren Netzwerklösungen auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, ist Bosshardt überrascht, wie viele Parallelen die beiden Branchen aufweisen. Lösungen finden, damit Menschen produktiv zusammenarbeiten können, etwas Kompliziertes einfach machen, aber auch Skalierung und Auslastungsmanagement sind Stichworte, die Bosshardt dazu einfallen. «Der Businessplan der beiden Firmen ist recht ähnlich», stellt er fest. «Beide Firmen bieten einen Service an, den man sich so früher nicht als Dienstleistung vorstellen konnte.»
Ausgleich in den Bergen
Ganz zum Schluss kommt Bosshardt auf sein jüngstes Projekt zu sprechen: Zusammen mit seiner Frau Daniela hat er in der Nähe von Savognin ein altes Berghaus renovieren lassen, das er nun im Dezember neu eröffnen wird. Dass er just dort ein solches Vorhaben verwirklicht, ist kein Zufall, verbringt er doch schon seit längerem seine Ferien in der Gegend. «Wenn ich in den Bergen bin, fernab der Zivilisation, und in der Nacht den klaren Sternenhimmel sehe, kann ich wieder herunterfahren und mich mit der Natur verbinden», erzählt er beim Scrollen durch die Bilder auf seinem Handy. «Menschen, die ‹hochtourig› unterwegs sind, brauchen zwischendurch Zeiten, in denen sie zur Ruhe kommen können und wieder Boden unter die Füsse kriegen. Einen Raum, der genau das ermöglicht, wollen wir nun dort oben erschaffen.»
Dieser Text ist in der Ausgabe 20/04 des ETH-Magazins Globe erschienen.
Zur Person
Nach seinem Studium in Elektrotechnik an der ETH Zürich arbeitete Martin Bosshard im internationalen Kraftwerkgeschäft für ABB und übernahm anschliessend eine Managementfunktion bei Futurecom Interactive AG. 2001 wechselte er zu Open Systems. Unter seiner Führung als CEO verzeichnete das Unternehmen ein starkes Wachstum und ist heute als Anbieter von sicheren Netzwerklösungen in mehr als 180 Ländern präsent. Seit 2020 ist Martin Bosshardt Verwaltungsrat bei Open Systems und Verwaltungsratspräsident bei Westhive, Das Unternehmen bietet flexible Büroflächen und Coworking-Arbeitsplätze an. Martin Bosshardt ist verheiratet, Vater von zwei Söhnen und macht in seiner Freizeit elektronische Musik.