Was Klicks auf einer Jobplattform über Diskriminierung verraten
Mithilfe von Big Data und Machine Learning haben Wissenschaftler der ETH Zürich untersucht, ob es auf Online-Stellenbörsen zu Diskriminierung kommt. Sie zeigen, dass die Benachteiligung von ausländischen Bewerbenden unter anderem von der Tageszeit beeinflusst wird. Und dass sowohl Männer als auch Frauen diskriminiert werden.
Ausbildung, fachliche Kompetenz, Erfahrung: Das sind die Kriterien, die bei der Besetzung einer Arbeitsstelle wichtig sind – so zumindest die Erwartung. Die Realität sieht allerdings oft anders aus, wie zahlreiche Studien gezeigt haben. Bei der Entscheidung, ob eine Person eingestellt wird oder nicht, spielen mitunter auch das Geschlecht, die Herkunft oder die Ethnizität eine wichtige Rolle. Faktoren also, die wenig über die Eignung für einen Job aussagen.
Diese Art der Diskriminierung verletzt die Chancengleichheit. Für die Betroffenen können daraus langfristige Nachteile entstehen, etwa in Form längerer Arbeitslosigkeit oder eines tieferen Lohns. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, wer diskriminiert wird und warum. Die von Dominik Hangartner (Public Policy Group), Daniel Kopp und Michael Siegenthaler (beide KOF) durchgeführte Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt und soeben in der renommierten Fachzeitschrift externe Seite Nature publiziert.
Die Wissenschaftler arbeiteten mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) zusammen und erhielten Zugang zu den anonymisierten Daten von Job-Room, einer der grössten Stellenvermittlungsplattformen der Schweiz. Die Plattform enthält Profile von mehr als 150’000 Stellensuchenden. Rekrutierende nutzen sie, um nach Personal für ihre offenen Stellen zu suchen. Zunächst geben sie an, welche Kriterien sie für eine bestimmte Stelle voraussetzen. Dann erhalten sie eine Liste mit passenden Kandidatinnen und Kandidaten und können deren Profil anschauen. Dieses enthält unter anderem Informationen über Kompetenzen, Geschlecht, Nationalität und Sprachkenntnisse. Bei Interesse können sie die Kandidatinnen und Kandidaten mit einem Klick kontaktieren, um sie allenfalls zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Millionen von Entscheidungen beobachtet
Die Forscher analysierten während rund zehn Monaten, welche Kandidatinnen und Kandidaten die Rekrutierenden kennenlernen wollten und wie sie ihre Auswahl trafen. So konnten sie abschätzen, wie die Herkunft oder das Geschlecht die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, kontaktiert zu werden – ein neuartiges Vorgehen, das grosse Vorteile gegenüber anderen Methoden zur Untersuchung von Diskriminierung hat.
Bei früheren Forschungsarbeiten zum Thema wurde vor allem mit sogenannten Korrespondenzstudien gearbeitet. Dabei verschicken Forscher fiktive Lebensläufe an Personalverantwortliche, die identisch sind – mit Ausnahme des zu untersuchenden Charakteristikums, etwa der Herkunft. Dann erfassen sie, welche Bewerbenden zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Ein kostspieliges und nicht ganz unproblematisches Vorgehen, bei dem man sich auf wenige Bewerbungen und Berufe beschränken muss. «Mit unserer Methode können wir hingegen Diskriminierung in vielen verschiedenen Berufen zu verschiedenen Zeitpunkten untersuchen und den ganzen Suchprozess auf der Plattform analysieren: Wir wissen, welche Kandidatinnen und Kandidaten einem Rekrutierenden angezeigt werden, wann und wie lange er ein Profil besucht und ob er Kontakt aufnehmen will – wir beobachten also Millionen von Entscheidungen», erklärt Co-Autor Daniel Kopp.
Diskriminierung nimmt gegen Ende des Tages zu
Dabei zeigte sich, dass ausländische Kandidatinnen und Kandidaten im Durchschnitt 6,5 Prozent weniger häufig kontaktiert wurden als Schweizer mit ansonsten identischen Charakteristika. Diese Benachteiligung war besonders ausgeprägt bei Migrantinnen und Migranten aus dem Balkan, aus Afrika, dem Nahen Osten und Asien, die im Alltag oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Das Forscherteam konnte ausserdem nachweisen, dass die ausländische Herkunft gegen Mittag und Abend einen stärkeren negativen Einfluss hat – dann, wenn die Rekrutierenden die Lebensläufe schneller durchgehen. Derselbe Mensch trifft je nach Tageszeit also andere Entscheidungen. «Dieses Resultat spricht dafür, dass auch unbewusste Mechanismen – etwa Stereotypen in Bezug auf Minderheiten – zu Diskriminierung beitragen», sagt Co-Autor Dominik Hangartner. Diese unbewussten Mechanismen spielten insbesondere dann eine Rolle, wenn wir müde seien oder Feierabend machen wollten.
Ausserdem konnten die Forscher zeigen, dass beide Geschlechter von Diskriminierung betroffen sind. Bei gleicher Qualifikation werden Frauen vor allem in typischen Männerberufen diskriminiert und Männer in typischen Frauenberufen. In den fünf Berufen mit dem geringsten Frauenanteil haben Frauen eine 7 Prozent tiefere Wahrscheinlichkeit, kontaktiert zu werden. In den fünf Berufen mit dem höchsten Frauenanteil werden sie mit 13 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit kontaktiert. Laut Co-Autor Michael Siegenthaler scheint bei einigen Rekrutierenden nach wie vor die Ansicht zu bestehen, dass Frauen für gewisse Berufe eher geeignet seien als Männer und umgekehrt. «Das führt dazu, dass die berufsspezifische Segregation bestehen bleibt oder sogar noch verstärkt wird.»
Mehr Diskriminierung durch Digitalisierung?
Online-Plattformen wie Job-Room werden bei der Rekrutierung immer wichtiger. Nimmt also auch die Diskriminierung bei der Stellensuche zu? Davon gehen die Forscher nicht aus. Es gebe keine Evidenz, dass auf solchen Plattformen stärker diskriminiert werde als in anderen Rekrutierungsprozessen. Gemäss Daniel Kopp ist Diskriminierung vielmehr ein strukturelles und gesellschaftliches Problem, das sich im gesamten Arbeitsmarkt widerspiegelt. «Bei Online-Portalen können wir aber die vorhandenen Daten nutzen, um solche Benachteiligungen detailliert zu untersuchen. Und darauf aufbauend dazu beizutragen, Strategien zu entwickeln, um sie zu bekämpfen.»
Literaturhinweis
Hangartner D, Kopp D, Siegenthaler M: Monitoring hiring discrimination through online recruitment platforms. Nature, 20 January 2021. doi: externe Seite 10.1038/s41586-020-03136-0.