Europas leistungsstärkste Forschungszentrifuge
Auf dem Campus Hönggerberg entsteht die leistungsstärkste geotechnische Forschungszentrifuge Europas. Sie ermöglicht es, geotechnische Bauwerke wie Fundamente, Dämme und Tunnel sowie die Auswirkungen von Naturgefahren wie Erdbeben, Erdrutschen, Überschwemmungen und Tsunamis zu simulieren. Die Zentrifuge wurde am Mittwoch millimetergenau eingesetzt.
Schon der Auftakt im vergangenen August war ein Spektakel: Knapp eine Stunde dauerte es im Sommer, einen 245 Tonnen schweren Betonzylinder per Kran aufzuheben und aus 25 Meter Höhe im Untergrund des Innenhofs beim HIF-Gebäude einzusetzen.
Am vergangenen Mittwoch nun ist das eigentliche Herzstück der neuen Forschungsanlage des ETH-Instituts für Geotechnik eingerichtet worden: die rund 20 Tonnen schwere Zentrifuge wurde von einem Pneukran in den Betonzylinder hinuntergelassen. Das Kunststück bestand darin, die Zentrifuge millimetergenau in der Mitte des Betonzylinders zu platzieren und die senkrechte Ausrichtung ihrer Achse zu gewährleisten.
Dazu war Präzisionsarbeit erforderlich. Der Zylinder ruht seinerseits auf speziell ausgeführten Stahlfedern. Diese fangen die Schwingungen der Zentrifuge auf und verhindern, dass sich die Vibrationen im Untergrund des Campus ausbreiten. So entsteht nicht nur Europas grösste geotechnische Zentrifuge, sondern auch die erste weltweit, die schwingungsisoliert ist.
Modellierung zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit bei Naturgefahren
Die neue Zentrifuge wird Teil eines Forschungszentrums für Zentrifugenmodellierung am ETH-Departement Bau, Umwelt und Geomatik sein. Sie wird es den Forschenden ermöglichen, dass sie Erdbeben, Bodenbewegungen (z.B. Erdrutsche) und wasserbedingte Gefahren (z.B. Überschwemmungen, Tsunamis) für geotechnische Bauwerke simulieren können. Diese Simulationen dienen dazu, den Entwurf neuer und die Modernisierung bestehender Bauwerke (z.B. Brücken, Gebäude und Dämme) zu optimieren sowie die potenziellen Risiken von Naturgefahren auf Bauwerke und Infrastrukturen zu reduzieren. Gleichzeitig werden so die Nutzung natürlicher Ressourcen und der damit verbundene Kohlenstoff-Fussabdruck minimiert.
Die Zentrifuge selbst ist einfach aufgebaut: sie besteht im Wesentlichen aus einem neun Meter langen Dreharm mit zwei daran befestigten Schaukeln, auf denen Bodenstruktur-Modelle installiert sind. Durch die Drehung lässt sich die Zentrifuge auf das 250-Fache der Erdbeschleunigung (g) beschleunigen. Technisch spricht man von «250 g».
Das Leistungsvermögen der Zentrifuge beträgt 500 gTonnen. Das heisst, dass die Zentrifuge in einem erhöhten Gravitationsfeld von 250 g bis zu zwei Tonnen tragen kann. Zwei Tonnen vervielfacht mit 250 g ergeben 500 gTonnen. In einem nächsten Schritt wird die Anlage mit einem Erdbebensimulator ergänzt, der in der Lage ist, reale Erdbebenbewegungen zu simulieren.
Das erhöhte Gravitationsfeld ist unabdingbar, um eine realistische Modellierung des Bodens in einer verkleinerten Laborumgebung zu erreichen. Da das Verhalten des Bodens weitgehend vom jeweiligen Spannungsniveau abhängt, können Modelle, die den geometrischen Massstab der realen Situation (Bodenschichttiefe, Abmessungen des Bauwerks) lediglich verkleinern, keine realistischen Ergebnisse liefern. Durch die Erhöhung des Gravitationsfeldes erreicht die Zentrifuge, dass sich die Spannung korrekt skalieren und messen lässt.
Mit der Zentrifuge können die Forschenden somit das Verhalten von grossflächigen Bauwerken und Bodenbewegungen realitätsnah simulieren. Dazu platzieren sie die Modelle des jeweiligen Bodens einschliesslich der Bodenschichten und des Bauwerks auf den Schaukeln und beschleunigen sie auf die gewünschte Zentrifugalbeschleunigung. Zum Beispiel entsprechen 30 Zentimeter Boden in der mit 100 g beschleunigten Zentrifuge einer Tiefe von 30 Metern in der Realität. Der Erdbebensimulator hat eine Nutzlast von bis zu 700 Kilogramm.
Von Bochum nach Zürich
Die Zentrifuge selbst ist nicht ganz neu. Sie stammt aus Bochum, wo sie nicht mehr weiterverwendet wurde. Für die Forschung an der ETH wurden Lager, Motoren, Hydraulik und Elektronik alle erneuert und modernisiert. Die Arbeiten, um die Zentrifuge vollständig aufzubauen und an die notwendigen Medien anzuschliessen, dauern noch an. Voraussichtlich gegen Ende dieses Jahres soll sie einsatzbereit sein – wenn auch zunächst nur mit reduzierter Leistung. Voll funktionsfähig wird sie voraussichtlich ab Spätsommer 2022 sein, wenn die Stromversorgung vollständig installiert und die zweite Phase der laufenden Bauarbeiten am Lehr- und Forschungsgebäude HIF abgeschlossen sein wird.
Die Einrichtung der Zentrifuge erfolgt im Rahmen der Sanierung und Erweiterung des 1976 erstellten HIF, wo das Departement Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) zuhause ist. Der Bezug der ersten Etappe erfolgt bis Ende Juni 2021. Sie betrifft den neuen Erweiterungstrakt mit zusätzlichen Labors. In diesem Gebäudeteil werden erstmals alle neun Professuren der Umweltingenieurwissenschaften räumlich vereint sein. Zudem werden neue Begegnungszonen eingerichtet, die den wissenschaftlichen Austausch fördern. Die gesamte HIF-Sanierung wird mit der dritten Etappe im Jahr 2023 beendet.