Eine Material-Klaviatur aus Graphen

ETH-Forschenden ist es gelungen, speziell präparierte Graphenscheiben durch Anlegen einer elektrischen Spannung wahlweise isolierend oder supraleitend zu machen. Dies funktioniert sogar lokal, so dass in der selben Graphenscheibe Regionen mit völlig verschiedenen physikalischen Eigenschaften nebeneinander erzeugt werden können.

Vergrösserte Ansicht: Material-Klaviatur
Die Material-Klaviatur der ETH-Forscher. Durch Anlegen elektrischer Spannungen («Tasten») an verschiedenen Stellen kann das Zauberwinkel-Graphen dort entweder supraleitend werden (Elektronenpaare) oder isolierend (Barriere rechts im Bild). (Bild: ETH Zürich / F. de Vries)

Zur Herstellung moderner elektronischer Bauteile braucht es Materialien mit völlig verschiedenen Eigenschaften. Da sind zum Beispiel Isolatoren, die keinen elektrischen Strom leiten, und Supraleiter, die ihn komplett verlustfrei transportieren. Um eine bestimmte Funktionsweise des Bauteils zu erhalten, muss man in der Regel mehrere solcher Materialien zusammenfügen. Besonders bei den heute weitverbreiteten Nanostrukturen ist das allerdings oft nicht einfach. Forschenden der ETH Zürich unter der Leitung von Klaus Ensslin und Thomas Ihn am Labor für Festkörperphysik ist es jetzt gelungen, ein Material durch einfaches Anlegen einer elektrischen Spannung dazu zu bringen, sich einmal als Isolator und einmal als Supraleiter zu verhalten – oder sogar als beides an verschiedenen Stellen im selben Material. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachjournal Nature Nanotechnology veröffentlicht. Unterstützt wurde die Arbeit vom Nationalen Forschungsschwerpunkt QSIT (Quantum Science and Technology).

Graphen mit magischem Winkel

Das Material, das Ensslin und seine Mitarbeiter verwenden, trägt den etwas sperrigen Namen «Magic Angle Twisted Bilayer Graphene». Dahinter verbirgt sich im Prinzip etwas sehr Simples und Bekanntes, nämlich Kohlenstoff – allerdings in einer besonderen Form und mit einem speziellen Dreh. Die Ausgangsbasis sind Graphenscheibchen, also nur ein Atom dicke Kohlenstoffschichten. Zwei solche Schichten legen die Forscher übereinander, und zwar so, dass ihre Kristallachsen nicht parallel zueinander sind, sondern einen «Zauberwinkel» von exakt 1,06 Grad einschliessen. «Das ist sehr knifflig, und man muss dabei auch die Temperatur der Scheibchen bei der Herstellung genau kontrollieren. Häufig geht es deshalb schief», erklärt Peter Rickhaus, der als Postdoktorand an den Experimenten beteiligt war.

Bei zwanzig Prozent der Versuche klappt es aber, und die atomaren Kristallgitter der Graphenscheibchen bilden dann ein so genanntes Moiré-Muster, in dem die Elektronen des Materials sich anders verhalten als in gewöhnlichem Graphen. Moiré-Muster kennt man etwa aus dem Fernsehen, wo durch das Zusammenspiel eines gemusterten Kleidungsstücks und den Rasterzeilen des Fernsehbildes interessante optische Effekte entstehen können. Über den Zauberwinkel-Graphenscheibchen bringen die Forscher zusätzlich mehrere etwa hundert Nanometer grosse Elektroden auf, durch die sie eine elektrische Spannung an das Material anlegen können. Kühlen sie das Ganze dann auf wenige Hundertstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab, so passiert Erstaunliches: Je nach angelegter Spannung verhalten sich die Graphenscheibchen entweder wie ein Supraleiter oder wie ein Isolator – also komplett gegensätzlich. Diese schaltbare Supraleitung wurde bereits 2018 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA gezeigt. Auch heute können nur wenige Gruppen weltweit solche Proben herstellen

Isolator und Supraleiter im selben Material

Josephson-Kontakt
Elektronenmikroskopisches Bild des Josephson-Kontakts (in Falschfarben). Mit den Elektroden (hell- und dunkelgold in der Bildmitte) als Klaviertasten kann eine nur 100 Nanometer dicke isolierende Schicht zwischen den zwei supraleitenden Bereichen erzeugt werden. (Bild: ETH Zürich / F. de Vries)

Ensslin und seine Kollegen gehen nun aber noch weiter: Durch Anlegen verschiedener Spannungen an die einzelnen Elektroden können sie das Zauberwinkel-Graphen an einer Stelle zu einem Isolator, wenige hundert Nanometer daneben aber zu einem Supraleiter werden lassen.

«Als wir das sahen, haben wir natürlich als erstes versucht, einen Josephson-Kontakt zu realisieren», sagt Fokko de Vries, ebenfalls Postdoktorand in Ensslins Labor. Bei solchen Kontakten befindet sich zwischen zwei Supraleitern eine hauchdünne Isolierschicht. Deshalb kann Strom nicht direkt zwischen den beiden Supraleitern fliessen, sondern muss quantenmechanisch durch den Isolator tunneln. Dadurch wiederum ändert sich die Leitfähigkeit des Kontakts in Abhängigkeit von der Stromstärke auf charakteristische Weise, je nachdem, ob Gleichstrom oder Wechselstrom benutzt wird.

Möglicher Einsatz in Quantentechnologien

Den ETH-Forschern gelang es, den Josephson-Kontakt in den im magischen Winkel verdrehten Graphenschichten mit Hilfe verschiedener Spannungen an drei Elektroden herzustellen und dessen Eigenschaften zu messen. «Nachdem auch das geklappt hat, können wir uns jetzt an komplizierteren Bauelementen versuchen, etwa an SQUIDs», sagt de Vries. In SQUIDs («superconducting quantum interference device») werden zwei Josephson-Kontakte zu einem Ring verbunden. Technisch kommen sie bei der Messung kleinster Magnetfelder, aber auch in modernen Technologien wie Quantencomputern zum Einsatz. Für mögliche Anwendungen in Quantencomputern ist zudem interessant, dass sich die Graphenscheibchen mit Hilfe der Elektroden nicht nur in Isolatoren und Supraleiter, sondern auch in Magneten oder so genannte topologische Isolatoren verwandeln lassen, in denen Strom nur in eine Richtung über den Rand des Materials fliessen kann. Damit könnten dann verschiedene Arten von Quanten-Bits (Qubits) in einem einzigen Bauteil realisiert werden.

Eine Klaviatur für Materialien

«Das ist allerdings noch Spekulation», sagt Ensslin. Er zeigt sich aber begeistert von den Möglichkeiten, die sich jetzt schon durch die elektrische Steuerung ergeben: «Wir können praktisch mit den Elektroden auf dem Graphen Klavier spielen.» Die Physiker versprechen sich davon unter anderem neue Erkenntnisse darüber, wie die Supraleitfähigkeit im Zauberwinkel-Graphen im Detail zustande kommt.
 

Literaturhinweis

de Vries F.K. et al: Gate-Defined Josephson Junctions in Magic-Angle Twisted Bilayer Graphene. Nat. Nanotechnology 3. May 2021. doi: externe Seite 10.1038/s41565-021-00896-2

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1 Kommentar

  • Martin René Lohner05.05.2021 08:25

    Das ist für den Laien ein schwer verständlicher Artikel. Immerhin wusste ich, dass mit "Graphen" nicht die graphische Darstellung einer mathematischen Funktionen gemeint ist sondern ein Materialname mit der Betonung auf der letzten Silbe. Es ist eine besondere Form von Kohlenstoff wie Graphit. Später steht "eine nur ein Atom dicke Kohlenstoffschicht". Wie man das wohl herstellt? Und dann noch 2 solche Schichten im Winkel von 1,06 Grad verdreht? Aha, geht häufig schief. Als ich "supraleitend" las, horchte ich auf, doch dann hiess es "nahe beim absoluten Nullpunkt", also nichts Ungewöhnliches (ausser die tiefe Temperatur, also ein Energieaufwand). Die "Klaviertaste" ist wohl eine Art Transistor, aber eher digital, also "alles" (supraleitend) oder "nichts" (isolierend), und der Finger, der sie drückt, ist wohl die elektrische Spannung, die man anlegt, um das Nanoding zu schalten. Da dachte ich: "Das ist ist etwas für Supercomputer". Als ich das am Schluss tatsächlich las, war ich ein wenig stolz. Mit dem Josephson-Kontakt kam ich jedoch nicht zurecht: Eine hauchdünne Isolierschicht zwischen Supraleitern, die selber so dünn wie ein Atom sind? Eine Klaviatur und eine Tonleiter sind übrigens schöne Analogien zur Quantenmechanik: Eine Tonleiter ist eine Quantelung eines Frequenzbandes (Tonfrequenzen).