Eine Katze und drei Herren
Matteo Fadel untersucht im Rahmen seines Branco-Weiss-Stipendiums das Zusammenspiel zwischen Quantenmechanik und Gravitation. Mithilfe eines Saphirs möchte er quantisierte Schallwellen beobachten.
Sie ist an die neunzig Jahre alt und schleicht noch immer durch die Physiklabore der Moderne: Schrödingers Katze. Das wahrscheinlich berühmteste Tier der Disziplin, das einem Gedankenexperiment entspringt und gleichzeitig tot und lebendig ist. Im Rahmen eines Branco-Weiss-Stipendiums erforscht Matteo Fadel, was es auf sich hat mit dieser Katze – oder vielmehr mit dem Übergang zwischen Quantenmechanik und klassischer Physik, für den sie zum Symbol geworden ist.
Die Geburtstunde der Katze
In den dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts diskutierten die damals bekanntesten Physiker, darunter Erwin Schrödinger, wie sich die Theorie der Quantenmechanik in Einklang bringen lässt mit der Realität, die wir im Alltag beobachten. Quantenmechanisch kann ein Teilchen sogenannte Überlagerungszustände annehmen. Das bedeutet, es kann sich nicht nur in Zustand A oder Zustand B, sondern auch in beiden gleichzeitig befinden.
In radioaktiven Materialien beispielsweise zerfallen Atomkerne und senden Strahlung aus. Ob ein bestimmter Kern allerdings nach einer gewissen Zeit bereits zerfallen ist oder nicht, lässt sich nur mithilfe einer Wahrscheinlichkeitsverteilung angeben. Solange wir das abgestrahlte Teilchen nicht messen – das bedeutet, solange es nicht mit seiner Umwelt interagiert – befindet sich der Kern in einem Überlagerungszustand aus «intakt» und «zerfallen».
Erwin Schrödinger fand diese Vorstellung absurd und schlug vor, sich eine Katze in einer abgeriegelten Kiste vorzustellen. Mit in der Kiste wäre eine «Höllenmaschine», wie Schrödinger sie nannte: eine radioaktive Substanz, von der mit fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit nach einer Stunde ein Atom zerfallen ist. Falls das passiert, löst die dabei entstehende Strahlung in einem Detektor ein Signal aus. Das wiederum führt dazu, dass ein Hammer eine Flasche mit Blausäure zertrümmert und daraufhin die Katze stirbt. Genauso wahrscheinlich ist aber, dass kein Atom zerfällt, die Blausäure in der Flasche und die Katze lebendig bleibt. Laut den Regeln der Quantenmechanik wäre nun die Katze in einem Überlagerungszustand, also gleichzeitig tot und lebendig – bis jemand nachschaut und sie entweder tot oder lebendig findet.
In der Realität wurde noch nie von Katzen berichtet, die gleichzeitig tot und lebendig sind. Und die grosse Frage lautet also, warum das Atom in einem Überlagerungszustand sein kann, die Katze aber nicht. Die Antwort liegt in der Masse und der Temperatur. Je mehr Atome beteiligt sind und je schneller sie sich bewegen, also je schwerer und wärmer das Objekt, desto schneller verliert der Überlagerungszustand seine Kohärenz. Er interagiert mit der Umwelt und lässt sich darum nicht mehr beobachten. Bei einer Hauskatze und Zimmertemperatur passiert das um ein Vielfaches schneller, als was die präzisesten Uhren messen, geschweige denn wir Menschen beobachten könnten.
Die Musik der Quantenmechanik
Genau solche grundlegenden Probleme der Physik begeistern Matteo Fadel schon lange. An der ETH versucht er nun die mysteriöse Grauzone zwischen der mikroskopischen Welt der Quantenmechanik und der makroskopischen Welt unseres Alltags zu erkunden. Wenn es denn keine Katzen sind, wie gross und schwer dürfen Objekte werden, damit wir ihr quantenmechanisches Verhalten noch beobachten können?
Der Physiker arbeitet als Postdoc im Labor von ETH-Professorin Yiwen Chu, die zu den Pionieren der Quantenakustik gehört. Während Quantenzustände sonst oft an Photonen, also Lichtteilchen, oder Elektronen beobachtet werden, beschäftigt sich dieses relative junge Gebiet mit quantenmechanischen Effekten in Schallwellen. Dazu werden supraleitende Qubits – die alten Hasen der experimentellen Quantenphysik – über Piezokristalle an sogenannte HBARs (High overtone bulk acoustic wave resonator) gekoppelt. Das können zum Beispiel feine Plättchen aus Saphir sein. Die Piezokristalle verformen sich, wenn man sie in ein elektrisches Feld bringt, in diesem Fall das elektrische Signal, das von den Qubits stammt. Die Schwingung, die durch periodische Verformungen im Piezokristall entsteht, wird an den Saphir weitergegeben, der sie als akustische Stehwelle speichern kann.
Für Fadel und seine Frage nach dem Übergang zwischen mikro- und makroskopischer Welt sind solche Experimente besonders interessant, weil bei den Vibrationen im HBAR zwar nicht der ganze Saphir beteiligt ist, aber doch um mehrere Grössenordnungen mehr Atome als in anderen quantenmechanischen Experimenten. Oder anders gesagt: In der Kiste sitzt zwar keine ausgewachsene, aber immerhin eine 50 Mikrogramm schwere Katze.
Kühlt man den HBAR nun herunter auf knapp über den absoluten Nullpunkt, so lassen sich einzelne Phononen anregen, die akustischen Pendants der Photonen. Fadel – selbst passionierter Geiger – vergleicht das gern mit einem Gitarrenspieler, der an einer Saite zupft. Genau so wie der Gitarrenton verklingt, so interagiert auch der Saphir nach der Anregung mit seiner Umwelt und verliert das Phonon, und damit sein quantenmechanisches Verhalten, im Laufe der Zeit. Langsam genug allerdings, dass die Physiker es noch nachweisen können.
Vorstoss in neue Gefilde
Fadel und seine Kollegen planen nun besagte Überlagerungszustände zu realisieren, sodass die Atome, aus denen der Saphir besteht, in verschiedene Richtungen gleichzeitig schwingen. Darüber hinaus gibt es auch noch andere interessante Quantenzustände, die die Physiker mit dem akustischen Resonator erforschen möchten. Manche davon könnten beispielsweise für die Quanten-Teleportation oder die Realisierung von Quantencomputern genutzt werden.
Matteo Fadel selbst interessiert sich besonders für solche Zustände, die ein neues Licht auf den Zusammenhang zwischen Quantenmechanik und Gravitation werfen. Letztere ist laut Isaac Newton, der das Prinzip der Gravitation mit einem Apfel statt einer Katze veranschaulichte, stärker, je näher sich zwei Objekte kommen. Albert Einstein wiederum postulierte in seiner Relativitätstheorie, dass Gravitationsfelder die Zeit dehnen. Wenn das stimmt, dann vergeht für die lebende Katze, die an der Kistenwand hochgeklettert ist, die Zeit schneller als für die tote Katze, die auf dem Boden liegt. Dies könnte ein Grund sein, warum der quantenmechanische Überlagerungszustand selbst bei einem hermetisch abgeriegelten Behälter mit der Zeit seine Kohärenz verliert.
Lassen sich solche Effekte nun endlich mit den Mitteln der Quantenakustik nachweisen? Matteo Fadel will mit seiner Forschung genau dieses neue Terrain in der Grundlagenphysik betreten. Ein Terrain, auf dem Quantenmechanik, Gravitation und Relativitätstheorie zusammenkommen, oder, anders ausgedrückt, das berühmte Tier nicht nur Schrödingers, sondern gewissermassen auch Newtons und Einsteins Katze wird.