Logistiktool der ETH spart IKRK Millionen

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) versorgt Menschen in Not mit medizinischen Gütern. Ein Planungstool von ETH-Forschenden macht diese komplexe Aufgabe künftig effizienter und spart dem IKRK Millionen.

Menschen versorgen einen Patienten im Sudan
Medizinische Einrichtungen wie diese hier im Sudan zu versorgen, ist eine Herausforderung für die Logistikabteilung des IKRK. (Bild: Boris Hegger / IKRK)

In Kürze

  • Forschende der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Logistikteam des IKRK haben ein Logistik-Planungstool entwickelt, das die Verteilung medizinischer Güter in Konfliktgebieten deutlich verbessert.
  • Das IKRK hat das Tool 2023 an zwölf Standorten in Afrika, dem Nahen Osten und in der Ukraine eingeführt.
  • Dadurch konnten teure Lagerbestände um 24 Prozent reduziert werden, ohne die Versorgungsqualität negativ zu beeinflussen. Dies entspricht einer Einsparung von 3,6 Millionen Schweizer Franken.

Krieg in der Ukraine und im Gazastreifen, der Bürgerkrieg im Jemen oder der Konflikt im Sudan: Weltweit sind Millionen von Menschen von Kriegen und Konflikten betroffen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) setzt sich für diese Menschen ein und versorgt sie mit medizinischen Gütern in Sanitätseinrichtungen. Dies ist eine komplexe Aufgabe, bei der es immer wieder zu Lieferengpässen und Problemen kommt.

Denn von der Zentrale in Genf gelangen die Güter über Logistikzentren und Zwischenlager in die entsprechenden Krisengebiete. Diese Lieferketten stellen hohe Anforderungen an die Logistikabteilung des IKRK: Sie muss antizipieren, wie viele medizinische Hilfsgüter wann und wo gebraucht werden und diese Güter rechtzeitig beschaffen und verteilen.

Um die Qualität der medizinischen Versorgung während humanitärer Krisen zu erhöhen, hat das IKRK in den letzten drei Jahren mit ETH-​Professor Stephan Wagner und Bublu Thakur-​Weigold von der Professur für Logistikmanagement der ETH Zürich zusammengearbeitet. Gemeinsam mit den Logistikerinnen und Logistikern des IKRK haben die Forschenden einen Lagerbestandsrechner und ein Planungsverfahren entwickelt, welche die Verteilung medizinischer Güter in Konfliktgebieten deutlich verbessert.  

3,6 Millionen Schweizer Franken eingespart

Das IKRK hat das Tool 2023 an zwölf Standorten in Afrika (Nigeria, Zentralafrikanische Republik, Nairobi, Südsudan, Äthiopien), im Nahen und Mittleren Osten (Jemen, Libanon, Afghanistan) und in der Ukraine eingeführt. Die Lagerbestände an medizinischen Produkten konnten um 24 Prozent reduziert werden, ohne dass die Qualität der Versorgung darunter gelitten hätte.

Das IKRK sparte sich dadurch 3,6 Millionen Schweizer Franken in Bezug auf potenziell abgelaufene Lagerbestände. Im Logistikzentrum des IKRK in Sana'a im Jemen beispielsweise senkten die Logistikerinnen und Logistiker des IKRK die Lagerbestände von CHF 2,5 Millionen auf CHF 0,99 Millionen, was auch die Kosten für die Vorratshaltung und Entsorgung abgelaufener Güter reduzierte.

Mit dem Lagerbestandsrechner realistischer planen

Vor der Zusammenarbeit mit den ETH-Forschenden planten die Logistikerinnen und Logistiker des IKRK ihre Lagerbestände auf der Grundlage der durchschnittlichen Jahresbedarfs. Ihre Planungssoftware berücksichtigte dabei zu wenig, wie stark die Nachfrage nach bestimmten Gütern und deren Lieferzeiten schwankten. Dies führte immer wieder zu Überlastungen und Engpässen in der Lieferkette.

Der neue Lagerbestandsrechner, den die ETH-Forschenden auf der Grundlage einer Berechnungsmethode aus der Logistikforschung entwickelten, änderte dies grundlegend: «Durch die Zusammenarbeit mit der ETH Zürich haben wir herausgefunden, wie stark die Nachfrage und die Lieferzeiten für unterschiedliche Produkte schwanken. Der Lagerbestandsrechner ermöglichte uns für jedes Produkt das optimale Gleichgewicht zwischen gewünschtem Versorgungslevel und nötigem Lagerbestand zu ermitteln», sagt Samah El Sayed, die für das IKRK die globalen Lieferketten koordiniert und massgeblich am Projekt mit der ETH beteiligt war. Dadurch konnte das IKRK seine Dienstleistungen besser auf seine Ressourcen abstimmen und Überlastungen in der Lieferkette verhindern.

Ein transparentes Logistiksystem

Das IKRK integrierte das Planungstool der ETH-Forschenden in die bestehende Logistiksoftware. Die Planung von Bestellmengen und Lagerbeständen ist nun ein datengetriebener Prozess. Bei zuverlässig lieferbaren Medizingütern mit konstanter Nachfrage, wie zum Beispiel Schmerztabletten, konnte das IKRK weiterhin einen hohen Versorgungsgrad von 98 Prozent gewährleisten.

Bei Gütern, deren Lieferzeiten und Nachfrage stark schwankten, führte dieses Level jedoch zu hohen Lagerbeständen, die sie sich das IKRK nicht leisten konnte. Auf der Basis des Lagerbestandsrechners entschieden sich die Logistikerinnen und Logistiker des IKRK daher, die Lagerbestände für diese unsicheren Güter zu reduzieren: In Zukunft sollten nur mehr 85 Prozent der Nachfrage sofort gedeckt werden können, bis sich die Nachfrage stabilisiert.

Auch für andere humanitäre Organisationen relevant

Neben den konkreten, finanziellen Einsparungen führte der neue Planungsprozess zu einer besseren Koordination zwischen den Logistikteams des IKRK und dem Gesundheitspersonal vor Ort. Da die Versorgung mit medizinischen Gütern zuverlässiger wurde, hatten die Teams in den Gesundheitszentren einen Anreiz, ihre Prognosen zu verbessern.  Dies erleichterte auch die Arbeit der Logistikteams, was wiederum die Qualität der Versorgung mit medizinischen Gütern verbesserte.

«Mit dem neuen Ansatz konnten wir unseren Partnern in den Gesundheitseinrichtungen klar zeigen, bei welchen Gütern wir welche Risiken übernehmen würden. Dies führte dazu, dass sie sich nicht mehr nur auf unsere Lagerbestände verliessen und ihre eigene Planung verbesserten», sagt El Sayed. Und Ruben Naval Artal, der Leiter der Logistikabteilung des IKRK, fügt hinzu: «Das ETH-Tool hat den Logistikplanern des IKRK dabei geholfen, die Finanzkrise des IKRK besser zu bewältigen."

Die Ergebnisse der Zusammenarbeit zwischen dem IKRK und der ETH Zürich lassen sich auch für andere humanitäre Organisationen anwenden, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.

Wissenschaft im Dienst der humanitären Hilfe

Das Projekt ist Teil der Initiative externe Seite Engineering for Humanitarian Action, welche das IKRK, die ETH Zürich und die EPFL 2020 lancierten. Die Partnerschaft zielt darauf ab, Wissen und Technologien der beiden Hochschulen aus den Bereichen Energie und Umwelt, Datenwissenschaft und Digitaltechnologie sowie personalisierte Medizin dort nutzbar zu machen, wo sie am dringendsten gebraucht werden: in humanitären Krisen.

Die Initiative wird von der Stavros Niarchos Foundation (SNF), der Stiftung für das IKRK und von Rolex unterstützt.  

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