Über 10‘000 Kindern die Informatik nähergebracht
Juraj Hromkovic war die letzten 20 Jahre Informatik-Professor an der ETH Zürich. In dieser Zeit hat er sich wie kein anderer für den Informatikunterricht an Schulen eingesetzt. Nun hält er seine Abschiedsvorlesung.
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Gibt es Zufälle? «Was wir als Zufall wahrnehmen, ist in erster Linie sehr subjektiv. Manche sehen in ihm etwas, das wir aufgrund von mangelnden Informationen nicht vorhersagen können. Andere bezweifeln, dass es echten Zufall wirklich gibt. Am Schluss ist das so etwas wie die Glaubensfrage in den Naturwissenschaften.» Der Mann, der das sagt, muss es wissen, denn eines seiner Forschungsgebiete sind die zufallsgesteuerten Algorithmen zur Datenverarbeitung auch Randomisierung genannt - dazu publizierte Juraj Hromkovic schon früh in seiner Karriere bedeutende Arbeiten.
Der Dienstleister
Geboren wurde Hromkovic 1958 in der heutigen Slowakei. Obwohl das Land damals zusammen mit Tschechien hinter dem Eisernen Vorhang war und zum sowjetischen Einflussbereich gehörte, war Informatik dort schon früh ein Thema. Doch es war ein Zufall, der Hromkovic zur Informatik brachte. Es gab nämlich keinen freien Platz am Gymnasium. Seine Klassenlehrerin erkannte trotzdem sein Potenzial und sorgte dafür, dass er «wenigstens» in der Informatikklasse unterkam. Zusammen mit vielen seiner Klassenkollegen und -kolleginnen studierte Hromkovic dann später an der Comenius Universität in Bratislava Informatik. Dort promovierte und habilitierte er sich auch, bevor er 1990 zuerst nach Deutschland und dann 2004 in die Schweiz kam.
«Den Ruf der ETH Zürich kannst du nicht abschlagen», meint Hromkovic heute lachend, wenn man ihn fragt, warum er in die Schweiz gekommen ist. Seine ersten Eindrücke waren durchwegs positiv: Zürich sei schon immer eine offene und internationale Stadt gewesen und wenn man sich als Dienstleister verstehe, dann falle die Integration eigentlich überall leichter. Der Begriff des «Dienstleisters» ist für Hromkovic zentral, er fällt mehrmals im Gespräch. Hromkovic betreibt nicht Wissenschaft um der Wissenschaft willen. Vielmehr möchte er, dass das, was er tut, der Gesellschaft einen unmittelbaren Nutzen bringt.
Der Pädagoge
Vielleicht ist es diese Überzeugung, die Hromkovic zu einem wissenschaftlichen Teilbereich gebracht hat, in dem man nicht unbedingt die grossen akademischen Lorbeeren erwartet: der Pädagogik. Und ein bisschen Zufall war wohl auch hier im Spiel: «Als meine Töchter eingeschult wurden, habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie guter Mathematik- und Informatikunterricht aussehen könnte.» Nach dieser Initialzündung liess die Fachpädagogik Hromkovic nicht mehr los.
Zuerst erhielt er an der ETH den Auftrag, die Ausbildung der Gymnasiallehrpersonen zu übernehmen. 2005 gründete er das Ausbildungs- und Beratungszentrum für den Informatikunterricht (ABZ) und leitet die Lehrerausbildung für das Lehrdiplom Informatik an der ETH. Er schrieb über 40 Informatik-Lehrmittel – einige dürfen mit Fug und Recht inzwischen als Bestseller bezeichnet werden. Darüber hinaus hat der ETH-Professor zusammen mit seinem Team in über 600 Schweizer Schulkassen selbst Informatikunterricht gegeben. Dabei hat er Erstaunliches erlebt: «Es ist unglaublich, dass es häufig Kinder gibt, die nicht zu den besten in ihrer Klassen gehören, aber beim Informatikunterricht aufblühen und eine wichtige Rolle übernehmen. Wir haben im Laufe der Jahre vermutlich über 10'000 Kinder gesehen, die sich mit Informatik beschäftigt haben und waren begeistert von ihrer Neugier.» Zufall ist wohl auch das nicht, denn Hromkovic erzählt immer wieder, wie und warum er sich selber ins Fach Informatik «verliebt habe» – Begeisterung ist ansteckend.
Die Pädagogik ist Hromkovic schnell in Fleisch und Blut übergegangen – stets ist er drauf bedacht, dass sein Gegenüber versteht, was er meint. Er mag keine «fertigen Produkte», resp. deren Anwendung unterrichten, sondern möchte die Wege, wie die Menschen darauf gekommen sind, vermitteln. Ein Beispiel fügt er gleich an: «Man sollte nicht das schriftliche Teilen und Multiplizieren in dezimalen Stellenwertsystem unterrichten – es hat Tausende von Jahren gedauert, bis das entwickelt wurde! Kinder sollten unterschiedliche Darstellungen von Zahlen selbst entdecken, um am Ende zu verstehen, warum man in der Stellenwertdarstellung am effizientesten rechnen kann.» Für Hromkovic ist klar, dass Erfolgserlebnisse am stärksten zum Lernen motivieren.
Der Engagierte
Ein besonderes Erfolgserlebnis wird dem emeritierten ETH-Professor ganz am Ende seiner Karriere zuteil. Letztes Jahr beschloss der Bund, dass die Informatik ab dem Schuljahr 2024/25 zum Grundlagenfach an Schweizer Gymnasien wird. Ein Abschiedsgeschenk für Hromkovic, der sich seit über zwanzig Jahren dafür engagiert, dass Informatik auf allen Schulstufen vernünftig unterrichtet wird. «Informatik ist nicht einfach ein neues Fach. Sie war immer ein integraler Teil der menschlichen Kultur, denn Informatik entstand im Spannungsfeld zwischen Mathematik und Sprache.»
Der Weg dahin war und ist allerdings steinig. Viele – auch Erwachsene, Politiker:innen und Lehrer:innen – haben Widerstände gegen das Fach Informatik. Bei der Maturareform 1995 wurde das Fach «Information and Communication Technology» (ICT) eingeführt und somit Versuche, das Programmieren aufzunehmen, gestrichen. Im ICT-Fach ginge es damit vor allem darum, einen Computer bedienen oder das Internet nutzen zu können – für Hromokovic hat beides nur einen sehr geringen Bildungswert. Heute könnte sich die Diskussion darüber, ob Programmieren noch sinnvoll sei, mit ChatGPT und anderen KI-Modellen wiederholen. Doch für den ETH-Professor ist klar: «Um GPT effizienter nutzen zu können, muss man die Programme sehr gut lesen und analysieren können, nur so kann man die Programmiervorschläge von GPT bewerten und korrigieren.»
Das Denken in der Informatik zielt immer darauf ab, systematisch und effizient eine Lösung für ein Problem zu finden. «Im Lehrplan 21 steht, dass die Schülerinnen und Schüler die Welt, in der sie leben, verstehen und mitgestalten können. Genau dafür brauchen sie die Informatik», ist Hromkovic überzeugt. Genauso wie er stets davon überzeugt war, dass er selbst am meisten beeinflussen und einen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann, wenn er sich um die Informatikausbildung kümmert. Deshalb ist auch schon klar, was er als emeritierter Professor als Nächstes macht: Er schreibt ein neues Lehrmittel.
Abschiedsvorlesung
Am Mittwoch, 10. April um 17.15 Uhr hält Professor Juraj Hromkovic seine Abschiedsvorlesung mit dem Titel «Quo Vadis Bildung im Zeitalter der Automatisierung» im Audi Max. Die Veranstaltung wird auch externe Seite live gestreamt.