«Das Cern der Stadtplanung werden»
Unter dem Brennglas des Future Cities Laboratory (FCL) in Singapur werden Probleme greifbar, die gemässigte Zonen wie die Schweiz erst in Zukunft beschäftigen. Das eröffne Chancen, Herausforderungen für Ballungsräume mit fundiertem Wissen anzugehen, meinen Peter Edwards, bisheriger Direktor des ETH-Hubs in Asien, und Gerhard Schmitt, der dessen Leitung erneut übernimmt.
Die Dimensionen sind gewaltig. Ein moderner, multiethnischer Stadtstaat, vor rund 50 Jahren noch unterentwickelt, seit der Unabhängigkeit in hohem Tempo geformt und gewachsen, heute sechs Millionen Einwohner und die doppelte Bevölkerungsdichte von Zürich, und das in einem tropischen Klima, in dem die physische Belastungsgrenze rasch erreicht wird: «In Singapur stellen sich akute Fragen, die auch für Mitteleuropa relevant sind», sagt ETH-Ökologieprofessor Peter Edwards, seit 2013 Direktor am Singapore-ETH Center (SEC). Denn Herausforderungen wie Klimawandel, alternde Bevölkerung und Energie- und Wasserversorgung für wachsende urbane Systeme seien universell.
Riesiges Living Lab
Was man in der Schweiz hingegen nicht kennt, seien Tempo, Konsequenz und Grössenordnung, mit der in Singapur Entscheide umgesetzt werden. «Der Bau von Genossenschaftswohnungen zum Beispiel umfasst hier nicht einige Zehntausend Einheiten wie in Zürich, sondern 1,2 Millionen. So verschafft sich die Verwaltung mit sorgfältiger und kluger Planung grosse Skaleneffekte», sagt Peter Edwards. Auch in Bezug auf eine moderne Wasserversorgung und auf den Wandel hin zu einer «smarten» Stadt bei Energieeffizienz, Technologienutzung und Lebensqualität hat der Stadtstaat seit der Gründung wahre Entwicklungssprünge vollzogen.
«All das wäre im gewachsenen, auf Ausgleich bedachten Schweizer Umfeld natürlich langsamer abgelaufen – zumeist mit gutem Grund», meint Gerhard Schmitt, ETH Professor für Informationsarchitektur. Er war 2010 Gründungsdirektor des SEC und stand in den ersten drei Jahren an seiner Spitze. Nun übernimmt er die Funktion des Direktors erneut. «Die ETH Zürich hat heute in Asien mit dem SEC eine florierende wissenschaftliche Drehscheibe», sagt er. «Ausserdem bildet das Center den zentralen wissenschaftspolitischen Stützpunkt der Schweiz für ganz Asien und Ozeanien, einen Raum mit über vier Milliarden Menschen.»
Dabei lässt sich auch Schweizer Expertise in den asiatischen Kontext einbringen: Etwa bei der Spin-off-Kultur oder der Verwurzelung gesellschaftlicher Teilhabe an der Entwicklung: «Die bemerkenswert gründliche Planungsarbeit der Behörden in Singapur braucht als Gegenstück mehr Legitimation durch die Bürgerinnen und Bürger», so Gerhard Schmitt. «Die Schweizer bottom-up-Kultur kann dafür exemplarisch sein.»
Das Stadtklima steuern
Welche Erkenntnis des Städtebau-Labors hat den scheidenden SEC-Leiter Peter Edwards besonders beeindruckt? Vor allem, dass Forschung im Verbund mit der Industrie schnell praktische Lösungen erzielen kann. Stichwort: urbane Hitzeinseln. Dieses Phänomen bewirkt, dass Städte auch in moderaten Klimazonen spürbar höhere Temperaturen verzeichnen als ihr ländliches Umfeld. Jedes neue Gebäude ist ein Hitzetreiber.
In den Tropen kann dies zur Gefahr werden. «Heute besteht kein Zweifel mehr: Der von Menschen verursachte Temperaturanstieg in tropischen Agglomerationen bewirkt eine Zunahme starker Niederschläge», sagt Peter Edwards. Was umgekehrt heisst: Das urbane Klima ist steuerbar. Man müsse die Infrastruktur so gestalten, dass die darin lebenden Menschen weniger an klimatischen Folgen leiden. Exemplarisch dafür stehen die auf dem Campus Hönggerberg erstmals erprobten Ideen zur Gebäudekühlung der ETH-Professoren Hansjürg Leibundgut und Arno Schlüter. Peter Edwards: «Dieses System zeigt in Singapur momentan eindrücklich, dass die gleiche Kühlleistung mit nur einem Drittel der bisher eingesetzten Energie erzeugt werden kann».
Lösungen liegen in der Stadtentwicklung
In Asien gibt es heute bereits Stadtgebilde mit 60 Millionen Menschen. Die UNO prognostiziert, dass die Städte des Kontinents bis 2050 noch um insgesamt 1,2 Milliarden Bewohner anwachsen. «Die Lösungen für eine nachhaltige Zukunft der Erde liegen in den Städten», betont Peter Edwards. «Das erfordert nicht nur technologische Innovationen, sondern auch Innovationen in Politik und Governance. Damit wir etwas bewirken, wird es wichtig sein, dass unsere Forscher die politischen Dimensionen ihrer Arbeit verstehen.»
Städte würden in Zukunft noch viel stärker Hand in Hand von Menschen und Maschinen gesteuert, hält Gerhard Schmitt fest. «Diese Vernetzung zu optimieren ist eines der Themen, die das FCL in den kommenden Jahren erforschen wird. Zudem dürfte die Frage, wie urbane Systeme die Gesundheit ihrer Bewohner schützen und fördern können, in den Vordergrund der Forschungsarbeit rücken.»
Stärken der Vernetzung, dass gelte auch für das Future Cities Laboratoy selbst. Es ist als Schweizer Wissenshub bereits klar auf der internationalen Landkarte verankert. «Aber damit sollten wir uns nicht zufriedengeben. Mein Wunsch ist, dass das FCL zum Cern der Stadtplanung wird. Forschungskontakte und Ideenaustausch zwischen der Schweiz, Singapur und den Forschenden vieler weiterer Länder sollten noch intensiver werden, und die bestehenden Netzwerke in Zürich und Singapur sollten sich noch stärker verbinden. Das gibt uns die nötige Kraft, um die vielschichtigen Probleme, die auf uns zukommen, zu bewältigen.»
Stabwechsel im SEC
Das Singapore ETH Center ist mit seinem Future Cities Lab nach sieben Jahren bereits zum grössten integrierten Stadtforschungszentrum seiner Art avanciert. Für die Stadt- und Raumplanung der Schweiz und anderer Länder fliessen von dort wichtige Impulse zurück. Peter Edwards übergibt nach vier Jahren am 1. Oktober die Leitung des Singapore-ETH Center an Gerhard Schmitt. Dieser war treibende Kraft hinter dem Aufbau der ETH-Forschungspräsenz in Singapur und leitete das Center bereits ab 2010 während dreier Jahre.