Fehlt ein Glied, dann bricht die Kette
Ab 2017 soll die Schweiz die Zuwanderung eigenständig steuern. Diese Politik gefährdet langfristig die Position der ETH Zürich in der Weltspitze. Das hat ETH-Rektor Lino Guzzella in der vergangenen Woche vor Mitgliedern des Parlaments klargemacht.
Bis Ende dieses Jahres will der Bundesrat ein Mandat verabschieden für Verhandlungen über das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Zugleich will er einen Gesetzesentwurf vorlegen, wie die Schweiz die Zuwanderung eigenständig steuern kann. Seit der Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 besteht der Verfassungsauftrag, dass die Schweiz ab 2017 die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzen soll.
Diese Begrenzung wird auch die ausländischen Mitarbeitenden und Studierenden an Schweizer Hochschulen betreffen. In welchem Ausmass Forschende und Studierende in Zukunft kontingentiert werden müssen, wird die Politik in den kommenden Monaten beraten (bei den Studierenden beispielsweise besteht ein Spielraum).
Auftrag der ETH Zürich gefährdet
Eine zu restriktive Begrenzung der Zuwanderung gefährdet langfristig den Auftrag der ETH Zürich, ihre Position an der Spitze der internationalen Lehre und Forschung auszubauen und ihre Erkenntnisse der Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft weiterzugeben. «Wir haben den Auftrag, der Schweiz den Zugang zum weltweit verfügbaren Wissen sicherzustellen. Um diesen Auftrag zu erfüllen, benötigen wir die besten Spitzenkräfte.»
Das sagte Lino Guzzella, Rektor und designierter Präsident der ETH Zürich, am vergangenen Donnerstag in Bern vor Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Organisiert hatten den Sessionsanlass die parlamentarische Gruppe für Bildung, Forschung und Innovation (externe Seite PG BFI) und das externe Seite Netzwerk FUTURE. Am Podium nahmen neben Lino Guzzella auch Silvio Ponti, Stv. Konzernleiter des Spezialitätenchemie-Herstellers Sika und ETH-Absolvent, und Mario Gattiker, Direktor des Bundesamts für Migration, teil.
Er sei nicht glücklich über die aktuellen Entwicklungen, sagte Lino Guzzella. Wissenschaft lebe vom internationalen Austausch, und die zwei Drittel ausländischer Professorinnen und Professoren an der ETH seien enorm wichtig, um die internationale Position und Vernetzung zu sichern.
Auf Zugang zu Weltmärkten angewiesen
Mit dem Industrievertreter war sich Guzzella einig, dass sowohl Forschung als auch Produktion den freien Zugang zu den Weltmärkten haben müssen, wenn sie nicht ins Mittelfeld abrutschen wollen. «Ich will nicht um Kontingente betteln, aber so kommt es nicht gut», bemerkte Guzzella zu der Zuwanderungsbegrenzung. Weder für die ETH noch für die forschungsbasierte Industrie. «Wenn auch nur ein einziges Glied fehlt, dann bricht die ganze Kette», schloss Guzzella.
Ein solcher Niedergang stelle sich nicht sofort ein, sondern schleichend über die nächsten 20 Jahre. Jedoch mehrten sich schon heute die schlechten Vorzeichen: So hat die Europäische Union jeglichen Zugang zu ihren Märkten vom Freizügigkeitsabkommen abhängig gemacht. Zudem können sich Schweizer Jugendliche nicht mehr am europäischen Jugendforschungswettbewerb beteiligen. «Das ist nicht schön, wenn wir den Jungen die Zukunft schwer machen.» An den Bildungs- und Forschungsprogrammen Erasmus+ und Horizon 2020 ist die Schweiz erst teilassoziiert.
Schlechtere Karten in der Hand
In jedem Gespräch mit Forschenden, die sich für eine ETH-Professur interessierten, werde derzeit die Weiterführung der Teilnahme an den EU-Programmen angesprochen. Aktuell halte die ETH wegen der unsicheren Lage eindeutig die schlechteren Karten in der Hand als andere Spitzenuniversitäten. Heute gehe das noch gut, weil die Professorinnen und Professoren, die schon an der ETH angestellt sind, bleiben. «Aber in 20 Jahren werden wir feststellen, dass wir nur noch drittklassig sind», so Guzzella weiter.
Und wie sieht es an der ETH Zürich mit dem Vorrang der Schweizerinnen und Schweizer aus, den der Verfassungsartikel ebenfalls fordert? Unter den Studierenden überwiegen Schweizerinnen und Schweizer. Auch vom Doktorat bis zu den Professuren sind Schweizerinnen und Schweizer an der ETH sehr gut vertreten: «Auch wenn wir den Pool an Talenten in der Schweiz ausschöpfen, reicht dies nicht, um wettbewerbsfähig zu bleiben.»
In der anschliessenden Diskussion gab es Voten, dass Kontingente an sich die Forschung nicht zwingend schädigen müssen, sondern dass es auf die konkrete Ausgestaltung ankomme. Die Politik könne die Kontingente nicht allein arbeitsmarkt- und bildungsbezogen festlegen, sondern nötig sei eine gesamtgesellschaftliche Einschätzung.