«Ich erwarte respektvolles Verhalten von allen»
Die ETH Zürich hat beim ETH-Rat die Entlassung einer Professorin des ehemaligen Instituts für Astronomie beantragt. Um solche Eskalationen künftig möglichst zu vermeiden, passt die ETH Zürich ihre Strukturen und Prozesse an und lanciert ein umfangreiches Massnahmenpaket zur Verbesserung der Führungs- und Betreuungssituation an der Hochschule.
Anlässlich einer Pressekonferenz äusserte ETH-Präsident Joël Mesot heute sein Bedauern darüber, dass es an der ETH Zürich in der Vergangenheit zu Fällen von fehlerhaftem Führungsverhalten gekommen ist. «Ich möchte im Namen der ETH alle um Verzeihung bitten, die von Fehlverhalten ihrer Vorgesetzten betroffen waren», sagte Joël Mesot. Die ETH erwarte von ihren Angehörigen einen respektvollen Umgang miteinander, alles andere sei inakzeptabel.
Diese Fälle nur auf das Fehlverhalten einzelner Professorinnen und Professoren zurückzuführen, greife jedoch zu kurz. Auch die ETH Zürich habe als Institution Fehler gemacht. Die Eskalationswege hätten bei konkreten Meldungen nicht immer funktioniert und die Kommunikation mit den Betroffenen sei während der Verfahren nicht immer optimal gewesen. So geschehen im Fall rund um eine Professorin am ehemaligen Institut für Astronomie. Gegen die Professorin hatte die ETH im Oktober 2018, gestützt auf die Empfehlung aus einer Administrativuntersuchung, ein Entlassungsverfahren eingeleitet. Dazu wurde eine Kommission zur Überprüfung der Angemessenheit der Kündigung einberufen.
Voraussetzung für Zusammenarbeit nicht mehr gegeben
Nun hat die Schulleitung der ETH Zürich beim ETH-Rat einen Antrag auf Entlassung eingereicht. Dieser Entscheid fiel, obwohl die einberufene Kommission zum Schluss kam, dass eine Entlassung aus juristischer Sicht eher nicht gerechtfertigt sei. So weist die Kommission darauf hin, dass die Professorin erst spät verwarnt wurde und sie dadurch keine Möglichkeit hatte, ihr Verhalten anzupassen.
Die Kommission zur Überprüfung der Angemessenheit einer Entlassung hält aber auch fest, dass die Vorwürfe im Untersuchungsbericht weitgehend zutreffen, dass das Verhalten der Professorin angesichts der starken Abhängigkeit von Doktorierenden inakzeptabel sei und dass die Professorin keine Einsicht zeige, dass sie sich unkorrekt verhalten habe. Sie sei daher eng zu begleiten und dürfe eigentlich nie mehr, mindestens aber zwei Jahre lang keine Doktorierenden betreuen.
Weil die Betreuung von Doktorierenden aber zu den zentralen Pflichten aller ETH-Professorinnen und -Professoren zählt, weil nach Meinung der Schulleitung jegliche Einsicht fehlt und weil die Schulleitung keine Aussicht auf Besserung erkennt, sieht sie die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr gegeben.
Die ebenfalls gegen die Professorin eingeleitete Untersuchung wegen Verdachts auf Fehlverhalten in der Forschung wurde inzwischen auch abgeschlossen. Die Untersuchungskommission ist zum Schluss gekommen, dass kein Fehlverhalten in der Forschung vorliegt.
ETH verbessert ihre Strukturen und Prozesse
Die ETH Zürich setzt alles daran, dass solche Eskalationen in Zukunft möglichst nicht mehr vorkommen. Sie hat aus den jüngsten Erfahrungen – auch aus den Fehlern, die sie als Institution begangen hat – ihre Lehren gezogen und verbessert ihre eigenen Prozesse und Strukturen mit einem umfassenden Massnahmenpaket. «Unsere Professorinnen und Professoren sollen nicht nur als Forscherinnen und Dozenten, sondern auch in der Führung ihrer Gruppen Spitze sein», bekräftigt Mesot. «Die Mehrheit von ihnen ist es bereits heute. Sie haben erkannt, dass nachhaltig exzellente Forschung in einer motivierten und gut geführten Gruppe besser gelingt». Künftig werde die ETH ihre Professorinnen und Professoren noch intensiver in ihrer Rolle als Vorgesetzte unterstützen.
Den dringendsten Handlungsbedarf sieht die Schulleitung in den Bereichen Prävention und Führung sowie in der konkreten Behandlung von Konfliktsituationen (siehe Infobox unten). Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Betreuung von Doktorierenden. Um die strukturell bedingte Abhängigkeit zu verringern, in der sich die Doktorierenden befinden, hat die Schulleitung beschlossen, dass diese künftig von mindestens zwei Personen betreut werden müssen – ein zentrales Element des Massnahmenpakets.
Zudem soll laut ETH-Rektorin Sarah Springman mit regelmässigen Feedbackrunden der Austausch zwischen Doktorierenden und Betreuungspersonen gefördert werden, sodass Probleme früh erkannt und gleich zu Beginn angegangen werden. «Mit diesen und weiteren Massnahmen, die sich aus Best-practices in unseren Departementen und von Hochschulen weltweit ableiten, werden wir die Doktorierendenbetreuung auf eine neue Stufe heben», so Springman. Die ETH-Rektorin betonte aber auch, dass solch tiefgreifende Veränderungen Zeit brauchen und die ETH bereit ist, diesen Weg konsequent zu gehen.
Die wichtigsten Massnahmen
Prävention und Führung
- Führungskompetenzen bilden seit Anfang Jahr neben Exzellenz in Lehre und Forschung ein zentrales Auswahlkriterium bei der Berufung von Professorinnen und Professoren. Bei Hinweisen auf Defizite werden systematisch zusätzliche Informationen oder Referenzen eingeholt.
- Der akademische Mittelbau und die Studierenden werden im Rahmen von Panels stärker in den Berufungsprozess einbezogen und deren Bewertung wird angemessen berücksichtigt.
- Ein umfangreiches Einführungsprogramm für neue Professorinnen und Professoren wurde lanciert und ist ab sofort im Einsatz. Auch für Doktorierende wird ein Einführungsprogramm erarbeitet.
- Das Führungsverständnis wird mit einem umfassenden «Leadership-Programm» weiterentwickelt. Dazu gehören unter anderem die Aufwertung der Personal- und Betreuungsarbeit im akademischen Umfeld sowie der Ausbau des Angebots an Führungskursen und Coachings für Professorinnen und Professoren.
- Bis 2020 wird an der ganzen ETH die Mehrfachbetreuung von Doktorierenden eingeführt.
- Ein neuer Leitfaden für die Rekrutierung wird Professorinnen und Professoren dabei unterstützen, mit den angehenden Doktorierenden die gegenseitigen Erwartungen sowie die Rechte und Pflichten zu klären.
- Das jährliche Standortgespräch mit den Doktorierenden wird systematisiert und muss Themen wie Führung, Zusammenarbeit und Entwicklung beinhalten.
- Zur Minderung des Abhängigkeitsverhältnisses von Doktorierenden wird das Vertragswesen bis 2020 so ausgestaltet, dass über Anstellungsverträge und deren Befristung kein Druck mehr auf Doktorierende ausgeübt werden kann.
Umgang mit Konfliktsituationen
- Die verschiedenen Anlauf- und Meldestellen der ETH werden ab Herbst 2019 regelmässig geschult.
- Die Ombudsstelle wurde von zwei auf drei Personen ausgebaut, neu behandeln zwei (vorher eine) Vertrauenspersonen die Fälle von möglichem wissenschaftlichem Fehlverhalten.
- Die Stelle für Chancengleichheit soll sich künftig auf die Förderung der Diversität und insbesondere die Erhöhung des Frauenanteils auf allen Stufen konzentrieren. Meldungen zu sexueller Belästigung und respektlosem Verhalten sollen künftig über eine Meldestelle bei der Personalabteilung behandelt werden. Noch in Prüfung ist, ob zusätzlich eine externe Meldestelle eingerichtet wird.
- Bis im Sommer 2019 wird der Umgang mit Meldungen und Beschwerden neu geregelt und beschleunigt. Ziel ist es, dass Meldungen umgehend angegangen und deren Behandlung wenn möglich innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden.
- Dazu wird das Case Management schrittweise zu einem Team ausgebaut. Es sorgt dafür, dass die richtigen Stellen involviert und die Beteiligten regelmässig über den Stand des Verfahrens informiert werden.