Aussen simpel und innen komplex
ETH-Fellow Serina Robinson hat eine Vorliebe für Mikroorganismen. Sie interessiert sich für deren Enzyme, mit denen chemische Substanzen hergestellt und abgebaut werden. Ganz besonders aber faszinieren die junge Forscherin jene Mikroben, die noch niemand kultiviert hat.
Dass sie forschen will, wurde Serina Robinson in der Tundra Alaskas klar. Dort arbeitete die damalige Bachelor-Studentin gerade als wissenschaftliche Assistentin im Feld. Sie stand knietief im Sumpf, nahm Bodenproben – und strahlte. Auch im Labor, wo sie die Nährstoffe im zuvor gesammelten Erdreich analysierte, verging die Begeisterung nicht. Im Gegenteil: «Ich war richtig besessen», erinnert sie sich.
Momentan forscht Robinson im Rahmen eines ETH-Fellowships als Postdoktorandin am Institut für Mikrobiologie. An der ETH Zürich zu arbeiten, war schon lange gleichermassen Traum und Ziel. «Es ist aufregend, nun tatsächlich hier zu sein», sagt die Forscherin. Während des einjährigen Postdoktorats in der Gruppe von Jörn Piel arbeitet sie mit Enzymen und kleinen Proteinen, sogenannten Peptiden, welche von besonderen Mikroorganismen produziert werden: Solchen, die im Labor nicht wachsen. Dies hat zur Folge, dass sie und die von ihnen stammenden Peptiden bisher kaum erforscht oder sogar unbekannt waren.
Via Metagenome zu unbekannten Arten
Diesen nicht kultivierbaren Mikroben kommen Forschende heute mithilfe der Metagenomik auf die Spur: «Metagenome stellen eine Art Momentaufnahme dar, die die DNA aller Mikroorganismen erfasst, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Ökosystem anwesend sind. Zum Beispiel im Boden, Abwasser oder auch im menschlichen Darm», erklärt Robinson. Die DNA aus den Proben wird sequenziert und anhand von Überlappungen der einzelnen Schnipsel wieder zum Genom der einzelnen Organismen zusammengefügt.
Die Gensequenzen der Mikroorganismen, mit denen die Forscherin arbeitet, stammen aus dem Fundus einer zweiten Gruppe am Institut für Mikrobiologie: Shinichi Sunagawa und seine Mitarbeitenden haben Metagenome von über 1000 verschiedenen marinen Standorten zusammengetragen. In diesem Schatz sucht Robinson nach DNA-Bauplänen für Peptide, die als medizinische Wirkstoffe interessant sein könnten.
Im Moment beschäftigt sie sich mit einem Bakterium, das tatsächlich erst durch die Metagenomik entdeckt wurde. «Es unterscheidet sich stark von bisher bekannten Mikroorganismen», erklärt sie. Und es stellt einen neuen Peptidtyp her. Dieser gehört zu einer ganzen Klasse von Verbindungen, welche die Gruppe von Jörn Piel entdeckt hat. Das Besondere daran: In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Annette Oxenius konnten die Forschenden zeigen, dass ein Peptid aus dieser Klasse antiviral wirkt. Was sie für die medizinische Forschung interessant und relevant macht.
Alternativen zu E. coli
Um dieses Peptid im Labor herzustellen, nutzt Robinson Werkzeuge der Synthetischen Biologie. Das heisst, sie baut die betreffenden Gene je nachdem einzeln oder in unterschiedlich zusammengesetzten Gruppen, sogenannten Clustern, in einen Wirtsorganismus ein. Dieser stellt dann – wenn alles klappt – den gewünschten Wirkstoff her.
Normalerweise wird dafür als Wirt meist das Bakterium E. coli verwendet. Doch dieses kann längst nicht alle Proteine aus beliebigen Organismen korrekt erzeugen. Auch die endgültige Form des Peptids des nicht kultivierbaren Bakteriums, mit dem die Forscherin arbeitet, kann E. coli nicht bilden. Daher verwendet sie einen alternativen Wirt, den Piels Gruppe entwickelt hat.
Alles über Mikroorganismen
Wieso sie sich so sehr für Mikroorganismen interessiert, das hat sich Robinson selbst auch schon gefragt. «Ich finde es einfach faszinierend, im Labor mit ihnen zu arbeiten: Von aussen erscheinen sie so simpel. Winzige Flecken auf einem Nährmedium. Aber was in ihrem Inneren alles vor sich geht, ist so unglaublich komplex», versucht sie eine Erklärung.
Dass egal was man herstellen möchte, es irgendwo eine Mikrobe mit einem Enzym gibt, welches genau das tun kann, fasziniert sie. Gleichzeitig interessiert sich Robinson stark dafür, wie man mit Hilfe von Mikroorganismen unliebsame Stoffe – beispielsweise im Abwasser oder im Boden – wieder abbauen kann. «Oft sind dieselben Enzymfamilien sowohl am biologischen Aufbau als auch am Abbau von chemischen Substanzen beteiligt», erklärt sie. Schon für ihre Doktorarbeit wählte sie daher bewusst eine Forschungsgruppe aus, die an der Schnittstelle dieser traditionell getrennten Fachgebiete forscht.
Doch das ist noch nicht alles: Neben dem Zusammenspiel der Enzyme und der Frage, wie sie hergestellt werden, beschäftigen Robinson Dinge wie: Warum stellen Mikroorganismen bestimmte Produkte überhaupt her? Was ist die ökologische Rolle dieser Stoffe in der Umwelt? Wie wirken sie auf andere Organismen oder Mikroben-Gemeinschaften? Wie antworten diese darauf? Aber auch: Wie reagieren diese Gemeinschaften auf Fremdstoffe?
Nächste Station Eawag
Im September steht Robinsons nächster Karriereschritt an: Als Tenure-Track-Gruppenleiterin wird sie damit beginnen, an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereiches, in der Abteilung Umweltmikrobiologie ihre eigene Forschungsgruppe aufzubauen. Robinson und ihre zukünftigen Mitarbeitenden werden sich vor allem mit Fragestellungen rund um Abwasser und den Abbau der darin enthaltenen Stoffe, wie Pestizide, Medikamente oder auch künstliche Süssstoffe, auseinandersetzen.
Zwar werden Mikroorganismen schon heute dafür eingesetzt, solche Substanzen biologisch abzubauen. Doch die Forscherin möchte diesen Vorgang in Zukunft gezielter steuern können: «Ich möchte wissen, wie und mit welchen Enzymen die Bakterien die Substanzen im Abwasser abbauen.» Denn dadurch lässt sich möglicherweise besser voraussagen, was Mikrobengemeinschaften mit einer bestimmten Zusammensetzung leisten und wie man sie allenfalls ergänzen kann. Mögliche Ziele dabei: die Abwässer schneller klären oder auch zusätzliche Stoffe biologisch abbauen.
Nachwuchsförderung geht weiter
Dass Serina Robinson es tatsächlich geschafft hat, eine Laufbahn als Forscherin einzuschlagen, hängt ihrer Meinung nach mit verschiedenen Faktoren zusammen. Einer davon ist, dass sie Gelegenheit erhielt, in verschiedenen Forschungsgruppen in den USA und in Europa zu arbeiten. «Das erweitert die Perspektive, wie geforscht wird und was möglich ist», erklärt sie. Besonders begeistert haben sie ihr sechsmonatiger Aufenthalt n der Universität Wageningen in den Niederlanden und ihr durch ein Fulbright-Stipendium ermöglichter einjähriger Forschungsaufenthalt an der Arktischen Universität Norwegen in Tromsö. Dort arbeitete sie mit Bakterien, die das Treibhausgas Methan als Energiequelle nutzen.
Die Menschen, die sie an den verschiedenen Orten kennengelernt hat, sind ihr sehr wichtig. Robinson: «Sie sind eine Art Familie.» Und die hat sie dabei unterstützt, ihr Ziel zu erreichen. Zum Beispiel indem sie ihr geholfen hat, Kontakte zu knüpfen oder passende Forschungsgruppen zu finden. «Ich denke die Forschenden-Community und die Mentoren, die sich für mich eingesetzt und mich durch die verschiedenen Schritte geführt haben, waren das Wichtigste für meine Karriere», sagt sie. Umso mehr freut sie sich nun, bald «ihre» eigenen Studierenden zu betreuen. Denn sie möchte nicht nur ihre Forschung vorantreiben, sondern auch selbst Lehrerin und Mentorin sein.